Predigten Benedikt XVI




NEU ab 1. Advent, den 28.11.2021

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11.11.2022

St. Martin




PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI.
St. Martin
ANGELUS
Petersplatz
Sonntag, 11. November 2007


Liebe Brüder und Schwestern!

Die Kirche gedenkt heute, am 11. November, des hl. Martin, Bischof von Tours, eines der berühmtesten und am meisten verehrten Heiligen in Europa. Er wurde um 316 als Sohn heidnischer Eltern in Pannonien, im heutigen Ungarn, geboren und dann vom Vater für die Militärlaufbahn bestimmt. Bereits als Jüngling begegnete Martin dem Christentum; nach Überwindung vieler Schwierigkeiten schrieb er sich als Katechumene ein, um sich auf die Taufe vorzubereiten. Er empfing das Sakrament im Alter von ungefähr zwanzig Jahren, musste aber noch lange Zeit im Heer bleiben, wo er von seiner neuen Lebensweise Zeugnis ablegte: er war allen gegenüber respektvoll und entgegenkommend; er behandelte seinen Leibdiener wie einen Bruder und mied niedrige Vergnügungen. Nach seiner Verabschiedung aus dem Militärdienst begab er sich nach Poitiers in Frankreich zum heiligen Bischof Hilarius. Dieser weihte ihn zum Diakon und Priester; in der Folge wählte er das monastische Leben und gründete mit einigen Schülern in Ligugé das älteste bekannte Kloster in Europa. Nachdem ungefähr zehn Jahre später die Christen von Tours ohne Hirte geblieben waren, wählten sie ihn per Akklamation zu ihrem Bischof. Von da an widmete sich Martin mit brennendem Eifer der Evangelisierung der ländlichen Gegenden sowie der Ausbildung des Klerus. Auch wenn ihm viele Wunder zugeschrieben werden, ist der hl. Martin vor allem für eine Tat der brüderlichen Nächstenliebe bekannt. Noch als junger Soldat begegnete er auf der Straße einem vor Kälte erstarrten und zitternden Armen. Da nahm er seinen Mantel, teilte ihn mit dem Schwert in zwei Teile und reichte dem Mann die eine Hälfte. In der Nacht erschien ihm im Traum Jesus, der lächelte und mit eben jenem Mantel bekleidet war.
Liebe Brüder und Schwestern, die Geste der Nächstenliebe des hl. Martin folgt derselben Logik, die Jesus dazu drängte, das Brot für die hungernde Menge zu vermehren, vor allem aber Sich Selbst der Menschheit in der Eucharistie als Speise zu hinterlassen, höchstes Zeichen der Liebe Gottes, »Sacramentum caritatis«. Es ist dies die Logik des Teilens, in der auf authentische Weise die Liebe zum Nächsten zum Ausdruck kommt. Der hl. Martin helfe uns zu verstehen, dass es nur durch gemeinsames Teilen möglich ist, auf die große Herausforderung unserer Zeit zu antworten: eine Welt des Friedens und der Gerechtigkeit zu errichten, in der ein jeder Mensch mit Würde leben kann. Dies kann geschehen, wenn ein weltweites Modell echter Solidarität vorherrscht, das in der Lage ist, allen Bewohnern des Planeten Nahrung, Wasser, notwendige medizinische Versorgung, aber auch Arbeit und Energieressourcen sowie kulturelle Güter, wissenschaftliches und technologisches Wissen sicherzustellen.…

http://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/angelus
/2007/documents/hf_ben-xvi_ang_20071111.html



02.11.2022

Allerseelen




PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI.
Allerseelen
Vatikanische Basilika, Kathedra-Altar
Donnerstag, 3. November 2011

Verehrte Mitbrüder,
liebe Brüder und Schwestern!

Am Tag nach dem liturgischen Gedenktag Allerseelen haben wir uns um den Altar des Herrn versammelt, um Sein Opfer darzubringen für die Kardinäle und Bischöfe, die im Lauf des vergangenen Jahres ihre irdische Pilgerschaft beendet haben. Mit tiefer Zuneigung gedenken wir der verehrten Mitglieder des Kardinalskollegiums, die von uns gegangen sind: Urbano Navarrete SJ, Michele Giordano, Varkey Vithayathil CSSR, Giovanni Saldarini, Agustín García-Gasco Vicente, Georg Maximilian Sterzinsky, Kazimierz Świątek, Virgilio Noè, Aloysius Matthew Ambrozic, Andrzej Maria Deskur. Mit ihnen bringen wir die Seelen der verstorbenen Mitbrüder im Bischofsamt vor den Thron des Allerhöchsten. Für alle und jeden einzelnen bitten wir im Gebet, beseelt von dem Glauben an das ewige Leben und das Geheimnis der Gemeinschaft der Heiligen. Ein Glaube voller Hoffnung, der auch durch das Wort Gottes erhellt wird, das wir eben gehört haben.
Der Abschnitt aus dem Buch des Propheten Hosea lässt uns unmittelbar an die Auferstehung Jesu denken, an das Geheimnis Seines Todes und Erwachens zum ewigen Leben. Diese Stelle des Buches Hosea – die erste Hälfte des sechsten Kapitels – war tief in Geist und Herz Jesu eingeprägt. Denn mehr als einmal greift Er in den Evangelien Vers 6 auf: »Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis statt Brandopfer.« Vers 2 dagegen zitiert Jesus zwar nicht, aber Er macht ihn Sich zu eigen und verwirklicht ihn im Ostergeheimnis: »Nach zwei Tagen gibt Er uns das Leben zurück, am dritten Tag richtet Er uns wieder auf, und wir leben vor Seinem Angesicht.« Jesus, der Herr, hat im Licht dieser Worte Sein Leiden auf Sich genommen und entschieden den Weg des Kreuzes eingeschlagen; Er sprach zu Seinen Jüngern offen über das, was Ihm in Jerusalem geschehen musste, und die Weissagung des Propheten Hosea klingt in Seinen eigenen Worten wider: »Der Menschensohn wird den Menschen ausgeliefert, und sie werden Ihn töten; doch drei Tage nach Seinem Tod wird er auferstehen« (Mk 9,31).
Der Evangelist merkt an, dass die Jünger »den Sinn Seiner Worte nicht verstanden, sich jedoch scheuten, Ihn zu fragen« (vgl. V. 32). Angesichts des Todes empfinden auch wir zwangsläufig Gefühle und Gedanken, die unserer menschlichen Natur entstammen. Und immer wieder überrascht und übersteigt uns ein Gott, der uns so nahe wird, dass Er nicht einmal vor dem Abgrund des Todes Halt macht, sondern vielmehr durch Ihn hindurchgeht, indem Er zwei Tage im Grab verweilt. Aber gerade hier verwirklicht sich das Geheimnis des »dritten Tages«. Christus nimmt unser sterbliches Fleisch bis ins Letzte an, damit es von der glorreichen Macht Gottes bekleidet würde, vom Hauch des lebensspendenden Geistes, Der es verwandelt und erneuert. Es ist die Taufe des Leidens (vgl. Lk 12,50), die Jesus für uns empfangen hat und von der der hl. Paulus im Brief an die Römer schreibt. Der Ausdruck, den der Apostel gebraucht – »auf Seinen Tod getauft worden sein« (Röm 6,3) – versetzt uns immer wieder in Staunen, so prägnant fasst er das schwindelerregende Geheimnis zusammen. Der Tod Christi ist Quelle des Lebens, weil Gott in ihm Seine ganze Liebe verströmt hat, wie in einem enormen Wasserfall, was an das in Psalm 41 verwendete Bild denken lässt: »Flut ruft der Flut zu beim Tosen deiner Wasser, all deine Wellen und Wogen gehen über mich hin« (V. 8). Der Abgrund des Todes wird von einem anderen Abgrund erfüllt, der noch größer ist: vom Abgrund der Liebe Gottes, so dass der Tod keine Macht mehr über Ihn hat (vgl. Röm 6,9) und auch nicht über die, die durch den Glauben und die Taufe mit Ihm vereint sind: »Sind wir nun mit Christus gestorben«, sagt der hl. Paulus, »so glauben wir, dass wir auch mit Ihm leben werden« (Röm 6,8). Dieses »leben mit Christus« ist die Erfüllung der Hoffnung, die Hosea prophezeit hat: »…und wir leben vor Seinem Angesicht« (6,2).
Tatsächlich findet eine solche Hoffnung allein in Christus ihr wahres Fundament. Vorher bestand das Risiko, dass sie lediglich eine Illusion war, nur ein dem Rhythmus der Jahreszeiten entnommenes Symbol: »wie der Frühjahrsregen, der die Erde tränkt« (Hos 6,3). Zur Zeit des Propheten Hosea drohte der Glaube der Israeliten mit den Naturreligionen des Landes Kanaan vermischt zu werden, aber dieser Glaube kann niemanden vom Tod erretten. Das Eingreifen Gottes in das Drama der menschlichen Geschichte dagegen unterliegt keinem natürlichen Zyklus, er folgt allein Seiner Gnade und Seiner Treue. Das neue und ewige Leben ist die Frucht des Kreuzesbaumes, eines Baumes, der Blüten und Früchte hervorbringt durch das Licht und die Kraft, die von der Sonne Gottes kommen. Ohne das Kreuz Christi bleibt die gesamte Energie der Natur ohnmächtig angesichts der negativen Kraft der Sünde. Es war eine größere segensreiche Kraft notwendig als die, welche die Zyklen der Natur hervorbringt, ein noch größeres Gut als die Schöpfung selbst: eine Liebe, die aus dem »Herzen « Gottes selbst hervorgeht und die, während sie den letzten Sinn der Schöpfung offenbart, diese erneuert und auf ihr ursprüngliches und letztes Ziel hin orientiert.
All dies geschah in jenen »drei Tagen«, als das »Weizenkorn« in die Erde fiel, dort so lange blieb, wie es nötig war, um das Maß der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit Gottes zu erfüllen, und schließlich »reiche Frucht« brachte, indem es nicht allein blieb, sondern Jesus der Erstgeborene von vielen Brüdern wurde (vgl. Joh 12,24; Röm 8,29). Jetzt erst sind durch Christus, durch das von der heiligsten Dreifaltigkeit in Ihm vollbrachte Werk, die der Natur entnommenen Bilder nicht mehr nur Symbole, illusorische Mythen, sondern sie sprechen von der Wirklichkeit. Fundament dieser Hoffnung ist der Wille des Vaters und des Sohnes, wie wir es im Evangelium dieser Liturgiefeier gehört haben: »Vater, ich will, dass alle, die Du Mir gegeben hast, dort bei Mir sind, wo Ich bin« (Joh 17,24). Und unter denen, die der Vater Jesus gegeben hat, sind auch die verehrten Mitbrüder, für die wir diese Eucharistie feiern: Sie »haben Gott gekannt« durch Jesus, sie haben Seinen Namen gekannt, und die Liebe des Vaters und des Sohnes, der Heilige Geist, hat in ihnen gewohnt (vgl. Joh 12,25–26) und ihr Leben dem Himmel, der Ewigkeit geöffnet. Danken wir Gott für dieses unschätzbare Geschenk. Und bitten wir auf die Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, dass sich dieses Geheimnis der Gemeinschaft, das ihr ganzes Leben erfüllt hat, sich in einem jeden von ihnen vollkommen erfülle.

01.11.2022

Allerheiligen




Ansprache Papst Benedikt XVI.
am Hochfest Allerheilgen
01.11.2007

Liebe Brüder und Schwestern!

Am heutigen Hochfest Allerheiligen überschreitet unser Herz die Grenzen von Zeit und Raum und weitet sich in die Dimension des Himmels aus. Zur Beginn des Christentums wurden die Mitglieder der Kirche auch „die Heiligen“ genannt. Im ersten Brief an die Korinther zum Beispiel wendet sich der heilige Paulus „an die Geheiligten in Christus Jesus, berufen als Heilige mit allen, die den Namen Jesu Christi, unseres Herrn, überall anrufen, bei ihnen und bei uns“ (1 Kor 1,2). Der Christ ist nämlich schon heilig, da die Taufe ihn mit Jesus und Seinem Ostergeheimnis vereint; gleichzeitig aber muss er es werden, indem er sich Ihm immer inniger anschließt.
Manchmal meint man, dass die Heiligkeit ein privilegierter Zustand ist, der wenigen Auserwählten vorbehalten wäre. Heilig zu werden ist in Wirklichkeit Aufgabe eines jeden Christen. Ja, mehr noch, wir könnten sagen: eines jeden Menschen!
Der Apostel schreibt, dass Gott uns von je her gesegnet und uns in Christus erwählt hat, „damit wir heilig und untadelig leben vor Gott“ (Eph 1,3-4). Alle Menschen sind somit zur Heiligkeit berufen, die letztendlich in einem Leben als Kinder Gottes besteht, in jener „Ebenbildlichkeit“ mit Ihm, nach der sie geschaffen worden sind. Alle Menschen sind Kinder Gottes, und alle müssen werden, was sie sind – über den anspruchvollen Weg der Freiheit. Gott lädt alle ein, Teil Seines heiligen Volkes zu sein. Der „Weg“ ist Christus, der Sohn, der Heilige Gottes: Niemand kommt zum Vater außer durch Ihn (vgl. Joh 14,6).
In ihrer Weisheit hat die Kirche das Fest Allerheiligen und den Gedenktag Allerseelen eng aneinandergereiht. Unserem Gebet des Lobpreises Gottes und der Verehrung der seligen Geister, die uns heute die Liturgie als „eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen“ vorstellt (Off 7,9), schließt sich das Fürbittgebet für all jene an, die uns im Übergang von dieser Welt zum ewigen Leben vorangegangen sind. Ihnen werden wir morgen in besonderer Weise unser Gebet widmen, und für sie werden wir das eucharistische Opfer darbringen. Tatsächlich lädt uns die Kirche jeden Tag dazu ein, für sie zu beten und dabei auch die Leiden und die alltäglichen Mühen aufzuopfern, damit sie, vollends geläutert, zum ewigen Genuss des Lichtes und des Friedens des Herrn zugelassen werden.
Inmitten der Schar der Heiligen erglänzt die Jungfrau Maria, „demütiger, höher als was je gewesen“ (Dante, Paradies XXXIII, 2). Mit unserer Hand in der ihrigen fühlen wir uns dazu beseelt, schwungvoller auf dem Weg der Heiligkeit voranzuschreiten. Ihr vertrauen wir unseren täglichen Einsatz an, und sie bitten wir heute auch für unsere lieben Verstorbenen – in der innigsten Hoffnung, dass wir uns eines Tages in der herrlichen Gemeinschaft der Heiligen alle zusammen wiederfinden werden.
[Nach dem Angelus sagte der Papst in seiner Muttersprache:]
Zum Hochfest Allerheiligen grüße ich ganz herzlich alle Pilger und Besucher hier auf dem Petersplatz. Die Heiligen sind Zeugen der unendlichen Liebe Gottes, die über den Tod hinausreicht. Wir wollen ihr Vorbild nachahmen und uns ihrer treuen Fürsprache anvertrauen. Der Heilige Geist bestärke uns dabei und führe uns zur vollkommenen Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem wahren Leben, und mit allen Seinen Heiligen. – Liebe Freunde, euch und euren Familien erbitte ich den Beistand des Herrn auf allen Wegen.
[ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals; © Copyright 2007 – Libreria Editrice Vaticana]


14.09.2022

Fest Kreuzerhöhung




Papst Benedikt XVI
zum Fest Kreuzerhöhung
in Lourdes
am 14.09.2008

Am Sonntag, den 14. September, dem Fest der Kreuzerhöhung, feierte Papst Benedikt XVI. um 10.00 Uhr in Lourdes einen Gottesdienst. „Und auch wir stehen an diesem Morgen hier zu Füßen Marias, der Unbefleckten Jungfrau, um uns mit der kleinen Bernadette in ihre Schule zu begeben“, so der Papst zu Beginn seiner Predigt. Mit Bezug auf die Liturgie des Tages betonte er: „Wenn wir die Augen zum Gekreuzigten erheben, beten wir Den an, Der gekommen ist, um die Sünde der Welt hinwegzunehmen und uns das ewige Leben zu schenken“ und wies darauf hin, dass Maria alle Menschen guten Willens einlädt, „alle, die seelisch oder körperlich leiden, die Augen zum Kreuz Jesu zu erheben, um dort die Quelle des Lebens, die Quelle des Heils zu finden.“
„Damit wir dieses glorreiche Kreuz in unserem Leben empfangen können“ so Papst Benedikt XVI. weiter, „lässt uns die Feier des Jubiläums der Erscheinungen Unserer Lieben Frau in Lourdes einen Weg des Glaubens und der Umkehr beschreiten. Heute kommt Maria uns entgegen, um uns die Wege für eine Erneuerung des Lebens unserer Gemeinden und unseres eigenen Lebens aufzuzeigen. Wenn wir ihren Sohn aufnehmen, Den sie uns zeigt, tauchen wir ein in eine lebendige Quelle, in der der Glaube neue Kraft zu finden vermag, an der sich die Kirche stärken kann, um das Geheimnis Christi immer mutiger zu verkünden. Jesus, geboren von Maria, ist der Sohn Gottes, der einzige Erlöser aller Menschen, Der in Seiner Kirche und in der Welt lebt und wirkt. Die Kirche hat überall in der Welt die Sendung, diese eine Botschaft zu verkünden und die Menschen einzuladen, sie durch eine echte Bekehrung des Herzens aufzunehmen. Diese Sendung, die Jesus Seinen Jüngern anvertraut hat, erhält hier anlässlich dieses Jubiläums neuen Schwung. Im Gefolge der großen Glaubensboten Eures Landes möge der missionarische Geist, der im Lauf der Jahrhunderte so viele Männer und Frauen Frankreichs erfüllt hat, weiterhin Euer Stolz und Eure Aufgabe sein!“
Wenn wir auf den Spuren von Bernadette den Jubiläumsweg beschreiten, werde uns das Wesentliche der Botschaft von Lourdes in Erinnerung gerufen, so der Papst: „Auf ihrem geistlichen Weg sind auch die Christen aufgerufen, die Gnade ihrer Taufe fruchtbar werden zu lassen, sich von der Eucharistie zu nähren und im Gebet die Kraft zu schöpfen, um Zeugnis abzulegen und solidarisch zu sein mit allen ihren Brüdern und Schwestern“. Sodann erinnerte Papst an die Haltung, der ohne Sünde empfangenen Maria: „Maria ist jene Frau unserer Erde, die sich Gott völlig überlassen und die von Ihm das Vorrecht empfangen hat, Seinem ewigen Sohn das menschliche Leben zu schenken… Indem sich Maria so in ihrer totalen Abhängigkeit von Gott zeigt, bringt sie in Wirklichkeit eine Haltung völliger Freiheit zum Ausdruck, die darin gründet, dass sie ihre wahre Würde ganz erkennt. Dieses Gnadengeschenk betrifft auch uns, denn es zeigt uns unsere eigene Würde als Männer und Frauen, die zwar von der Sünde gezeichnet, aber auf Hoffnung hin gerettet sind, eine Hoffnung, die uns erlaubt, uns unserem täglichen Leben zu stellen. Dies ist der Weg, den Maria auch dem Menschen eröffnet. Sich ganz Gott überlassen bedeutet den Weg der wahren Freiheit finden.“
Der Papst hob sodann hervor, dass „die erste Berufung des Heiligtums von Lourdes jene ist, ein Ort der Begegnung mit Gott im Gebet zu sein und ein Ort des Dienstes an den Brüdern, besonders durch die Aufnahme der Kranken, der Armen und all jener Menschen, die leiden. An diesem Ort kommt Maria zu uns als die Mutter, die immer für die Nöte ihrer Kinder da ist.“ Maria rufe uns hier in Erinnerung, „dass das innige und demütige, vertrauensvolle und beständige Gebet einen zentralen Platz in unserem christlichen Leben haben soll. Das Gebet ist unerlässlich, um die Kraft Christ empfangen zu können… Sich ganz von den Aktivitäten in Anspruch nehmen lassen bringt die Gefahr mit sich, dass das Gebet seine spezifische christliche Bedeutung und seine wahre Wirksamkeit verliert.“
Den jungen Menschen, die in Lourdes als freiwillige Helfer tätig sind, forderte der Papst auf: „Lasst Euch von den Schwierigkeiten nicht entmutigen!... fürchtet Euch nicht, „Ja“ zu sagen zum Ruf des Herrn, wenn er Euch einlädt, ihm nachzufolgen. Antwortet großzügig dem Herrn! Er allein kann die tiefsten Sehnsüchte Eures Herzens stillen….Maria helfe jenen, die zur Ehe berufen sind, die Schönheit einer wahren und tiefen Liebe zu erkennen, die als gegenseitiges und treues Geschenk gelebt wird! All jenen unter Euch, die Er ruft, Ihm in der Priester- oder Ordensberufung zu folgen, möchte ich sagen, welch großes Glück darin liegt, sein Leben ganz für den Dienst an Gott und den Menschen hinzugeben. Die Familien und die christlichen Gemeinschaften seien Orte, wo solide Berufungen zum Dienst an der Kirche und der Welt entstehen und aufblühen können!“.
Zum Abschluss seiner Predigt rief der Papst „Maria als Stern der Hoffnung“ an. „Auf den Wegen unseres Lebens, die so oft dunkel sind, ist sie das Licht der Hoffnung, das uns erleuchtet und uns auf unserm Pfad die Richtung weist… Und sie lädt uns ein, wie sie in einer unerschütterlichen Hoffnung zu leben und nicht auf jene zu hören, die behaupten, wir seien Gefangene des Schicksals“.
Im Anschluss an den Gottesdienst betete der Papst das Angelusgebet. In seiner Ansprache betonte: „Jeden Tag gibt uns das Gebet des Engel des Herrn die Möglichkeit, inmitten unserer Tätigkeiten einige Augenblicke über das Geheimnis der Menschwerdung des Sohnes Gottes nachzudenken. Zu Mittag, wenn wir schon die Mühe der ersten Stunden des Tages spüren, werden unsere Einsatzbereitschaft und unsere Großmut durch die Betrachtung des „Ja“ Marias erneuert. … Dieses der Jungfrau Maria gewährte Vorrecht, welches sie von unserer allgemeinen menschlichen Verfasstheit unterscheidet, entfernt sie nicht von uns, sondern bringt sie uns im Gegenteil näher….. Gerade wegen ihrer Reinheit zögert der Mensch nicht, sich vor Maria in seiner Schwachheit zu zeigen, seine Fragen und Zweifel vorzubringen, seine Hoffnungen und geheimsten Wünsche auszusprechen. …Maria zeigt uns so die rechte Weise, vor den Herrn hinzutreten. Sie lehrt uns, sich ihm in Aufrichtigkeit und Schlichtheit zu nähern. Dank ihrer entdecken wir, dass der christliche Glaube keine Last ist, sondern gleichsam Flügel verleiht, die uns erlauben, in höchste Höhen zu fliegen, um in den Armen des Herrn Zuflucht zu finden….Als Söhne und Töchter Marias können wir aus den Gnadengaben, die ihr geschenkt worden sind, Gewinn ziehen, und die unvergleichliche Würde, die ihr das Vorrecht der unbefleckten Empfängnis verleiht, kommt auch uns, ihren Kindern, zu.“ (SL) (Fidesdienst, 17/09/2008)



08.09.2022

Fest Mariä Geburt




Aus der PREDIGT VON JOHANNES PAUL II.
Eschen-Mauren (Liechtenstein)
Sonntag, 8. September 1985

Liebe Brüder und Schwestern,

1. Als festlich versammelte Kirche Christi feiern wir heute die Geburt der seligen Jungfrau Maria. Die Liturgie lädt uns ein, der Heiligsten Dreifaltigkeit zu danken; denn es wird die Mutter unseres Erlösers geboren, ”deren heiliges Leben die ganze Kirche erleuchtet“ («Antiphona ad Tertiam»).

2. Die Schrifttexte der heutigen Liturgie lassen uns auf das Geheimnis Mariens gleichsam aus zwei verschiedenen Entfernungen schauen.
Aus der Ferne des Alten Bundes betrachtet es der Prophet Micha. Seine Weissagung kündigt die Geburt des Messias und Gesalbten an: ”. . . der über Israel herrschen soll. Sein Ursprung liegt in ferner Vorzeit“ (Micha 5, 1). Hiermit ist das ewige Wort Gottes gemeint, Der wesensgleiche Sohn des Vaters. Er wird unser ”Hirt sein in der Kraft des Herrn“; mit ihm werden wir ”in Sicherheit leben“; denn Er wird unser ”Friede“ sein.
Zugleich spricht der Prophet von der Frau, ”die gebaren wird“ (Ebd. 5,2). Ein Geschöpf, eine Frau, ist auserwählt, beim erlösenden Handeln Gottes entscheidend mitzuwirken; an ihr werden sich zuerst jene messianische ”Sicherheit“ und der ”Friede“ konkret erfüllen. Sie wird gesegnet sein unter allen Frauen; ein Geschenk wird sie sein für die ganze Menschheit, da sie ihr den Erlöser gebiert.
3. Ganz aus der Nahe betrachtet hingegen der Evangelist Matthaus das heutige Festgeheimnis. Hier befinden wir uns schon mitten in jenem Geschehen, das der Prophet Micha nur aus der Ferne andeuten konnte.
Maria tritt in das Licht der Öffentlichkeit als schwangere Frau. Die Menschen sind zunächst verwirrt; man scheint sich ihrer zu schämen. Dann erfahrt jedoch Josef, ihr angetrauter Mann, die Bedeutung dieses zu erwartenden Kindes: Es ist in einzigartiger Weise von Gott gewollt; es ist ”vom Heiligen Geist“. Sein Name wird ”Jesus“ sein und so bereits Seine künftige Aufgabe andeuten: ”Er wird sein Volk von Seinen Sünden erlösen“. Ja, Er wird ein wahrer ”Immanuel” sein: In ihm ist ”Gott mit uns“: Und Josef nahm seine Frau zu sich (Matth 1, 18-24). So bekennt er sich zu Maria und zur Frucht ihrer Leibes; mutig tritt er an die Seite der Mutter des Erlösers und besteht somit die große Prüfung seines Lebens.
4. Auf diese Weise lassen uns die heutigen Lesungen aus zwei verschiedenen Abständen auf das große Geheimnis der Menschwerdung des ewigen Wortes schauen und damit zugleich auf das Geheimnis der Mutterschaft Mariens.
Diese enge Verbindung der beiden Geheimnisse betrachten wir jedes Jahr vor allem zwischen Weihnachten und Neujahr, zwischen dem Tag der Geburt Christi und dem Tag der Mutterschaft Mariens; besonders deutlich aber muss sie uns werden im Verlauf der Vorbereitung auf die bevorstehende Zweitausendjahrfeier der Menschwerdung unseres Erlösers.
Gott hat Maria dazu erwählt, die Mutter Jesu Christi zu werden. Nach dem Glauben der Kirche ist Maria durch diese außerordentliche Berufung in ihrer ganzen Person und ihrem ganzen Dasein geprägt worden. Das ist der Grund, warum wir mit Verehrung und Dank auf ihren Eintritt in diese Welt schauen, auf ihre Geburt; und wenn uns auch das genaue Datum dieser Geburt unbekannt ist, so fallt es doch in die Jahre unmittelbar vor jener heiligen Nacht in Betlehem.
5. Die Liturgie spricht heute aber nicht nur über vergangenes Geschehen. Die Lesung aus dem Brief des heiligen Paulus an die Römer erinnert uns an den ewigen Erlösungsplan Gottes mit seiner stets aktuellen Bedeutung auch für unsere Gegenwart. Dieser Plan erwachst unmittelbar aus der Menschwerdung des Gottessohnes, ”dem Erstgeborenen von vielen Brüdern“ (Röm 8, 29). Es ist Gottes Wille, dass wir Brüder und Schwestern Jesu werden und ”an Wesen und Gestalt Seines Sohnes teilhaben“; in Jesus hat Er bereits alle, die Er in Seine Nachfolge berufen hat, ”gerecht gemacht“ und ”verherrlicht“. In der Tat, erstaunliche Worte des Apostels, in denen die Kirche aber Gottes Wort selbst erblickt! Ja, großes hat der Herr an uns getan, indem Er uns zu Gliedern Seiner Kirche gemacht hat. Spontane Freude und Dankbarkeit müssen in uns darüber aufbrechen; unsere Antwort muss sein, Gott zu lieben mit Leib und Seele, mit Herz und Verstand, mit allen unseren Kräften. Dann kann sich auch an uns erfüllen, was die Pauluslesung so großartig zu Anfang feststellt: ”Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten fuhrt “ (Röm 8, 28-30). Wie wahr sind diese Worte geworden für Jesus selbst, Der durch Sein Lebensopfer unser Erlöser geworden ist, wie wahr aber auch für Maria, die Ersterlöste, die um ihres Sohnes willen vor der Sunde bewahrt geblieben und so die Mutter aller Erlösten geworden ist.
Auf diese Weise nimmt Maria durch ihre Berufung zur Mutter Christi in besonderem Maße teil an jener gemeinsamen Berufung, die an alle Menschen durch Christus ergeht und in heiliger Gemeinschaft mit Ihm verwirklicht werden kann.
Wenn wir das Geheimnis der Geburt Mariens in Liebe verehren, wird uns dabei immer deutlicher bewusst, dass durch ihr Jawort und durch ihre Mutterschaft Gott mit uns ist. ”Immanuel“ - ”Gott mit uns“: das ist ja der Name für den Sohn Gottes, der in diese Welt gekommen ist und durch seine brüderliche Gegenwart jede menschliche Wirklichkeit heiligt und auf Gott hin öffnet.

Mit Recht dürfen wir annehmen, dass die Mutter des Herrn in eine religiöse und fromme Familie hineingeboren wurde. Maria selbst ist eine große Beterin. Im Magnifikat, diesem berühmten Lobgesang auf die Macht und Herrlichkeit Gottes, lehrt sie uns die Hauptrichtung allen Betens: ”Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter“ (Luk 1, 46 s.). Stimmt ein in diesen Lobpreis Gottes! Zeigt Gott durch die treue Mitfeier des sonn- und feiertäglichen Gottesdienstes, dass ihr Ihn über alles liebt und ehrt und zugleich bereit seid, dieser Liebe einen konkreten, gemeinschaftlichen Ausdruck zu geben! Geht hin zum eucharistischen Herrn im Tabernakel und betet dort zum geheimnisvoll gegenwärtigen Gott für euch selber, für die eigene Familie, für die Familien eures Vaterlandes, für die Menschheitsfamilie und für die Gottesfamilie der Kirche! Ich bitte euch alle, Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Laien und Kleriker, Ordensmänner und Ordensfrauen, Gesunde und Kranke, Behinderte und Betagte: Betet! Ja, lasst nicht nach im täglichen Gebet! Das Gebet ist die wahrhaft verändernde und befreiende Kraft unseres Lebens; im Gebet geschieht der echte ”Aufbruch zum Leben“.

01.09.2022

MONAT SEPTEMBER IST DEN HEILIGEN ENGELN GEWIDMET:
Papst Benedikt XIV. (+1758) über die Engel und ihre Verehrung
https://www.gloria.tv/post/gcMqYrnRqexo17tatFtxYHUUj



22.08.2022

Fest Maria Königin




BENEDIKT XVI.
GENERALAUDIENZ
Fest Maria Königin
Castel Gandolfo
Mittwoch, 22. August 2012


Liebe Brüder und Schwestern,

heute begehen wir den liturgischen Gedenktag der allerseligsten Jungfrau Maria, die mit dem Titel »Königin« verehrt wird. Es ist ein Fest, das erst in jüngerer Zeit eingeführt wurde, auch wenn sein Ursprung und die Verehrung sehr alt sind: Es wurde 1954 am Ende des Marianischen Jahres vom ehrwürdigen Diener Gottes Pius XII. eingesetzt, der das Datum auf den 31. Mai festlegte (vgl. Enzyklika Ad caeli Reginam, 11 octobris 1954: AAS 46 [1954], 625–640). Bei dieser Gelegenheit sagte der Papst, dass Maria mehr als jedes andere Geschöpf Königin ist durch die Erhabenheit ihrer Seele und die hervorragenden Gaben, die sie empfangen hat. Sie hört niemals auf, alle Schätze ihrer Liebe und ihrer Fürsorge an die Menschheit zu verteilen (vgl. Ansprache zu Ehren von Maria Königin, 1. November 1954).
Jetzt, nach der nachkonziliaren Reform des liturgischen Kalenders, wurde es auf den achten Tag nach dem Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel verlegt, um die enge Verbindung zwischen dem Königtum Mariens und ihrer Verherrlichung in Seele und Leib bei ihrem Sohn hervorzuheben. In der Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche lesen wir: Maria wurde »in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen und als Königin des Alls vom Herrn erhöht, um vollkommener ihrem Sohn gleichgestaltet zu sein« (Lumen gentium, 59).
Das ist die Wurzel des heutigen Gedenktages: Maria ist Königin, weil sie auf einzigartige Weise mit ihrem Sohn verbunden ist, sowohl auf dem irdischen Weg als auch in der Herrlichkeit des Himmels. Der große Heilige von Syrien, Ephräm der Syrer, sagt über das Königtum Mariens, dass es von ihrer Mutterschaft herkommt: Sie ist die Mutter des Herrn, des Königs der Könige (vgl. Jes 9,1–6) und verweist uns auf Jesus als unser Leben, unser Heil und unsere Hoffnung. Der Diener Gottes Paul VI. rief in seinem Apostolischen Schreiben Marialis Cultus in Erinnerung: »Bei Maria ist alles auf Christus hin bezogen und von Ihm abhängig: im Hinblick auf Ihn hat sie Gottvater von aller Ewigkeit her als ganz heilige Mutter erwählt und sie mit den Gaben des Heiligen Geistes ausgestattet, wie sie keinem anderen zuteil geworden sind« (Nr. 25).
Jetzt aber fragen wir uns: Was bedeutet Maria Königin? Ist es nur ein Titel, der mit anderen verbunden ist, die Krone, ein Schmuck unter anderem? Was bedeutet es? Was ist dieses Königtum? Wie bereits gesagt ist es eine Folge ihres vereint seins mit dem Sohn, ihres Daseins im Himmel, also in Gemeinschaft mit Gott; sie hat Anteil an der Verantwortung Gottes für die Welt und an der Liebe Gottes zur Welt. Es gibt eine volkstümliche, geläufige Vorstellung von einem König oder einer Königin: eine Person mit Macht, Reichtum. Das ist jedoch nicht die Art des Königtums Jesu und Mariens. Denken wir an den Herrn: Das Königtum und das Königsein Christi ist durchwoben von Demut, Dienst, Liebe: Es ist vor allem dienen, helfen, lieben. Erinnern wir uns daran, dass Jesus am Kreuz zum König erklärt wurde mit der von Pilatus geschriebenen Inschrift: »König der Juden « (vgl. Mk 15,26). In jenem Augenblick am Kreuz zeigt sich, dass Er König ist. Und wie ist Er König? Indem Er mit uns, für uns leidet, indem Er bis ins Letzte liebt, und so regiert Er und schafft Er Wahrheit, Liebe, Gerechtigkeit. Oder denken wir auch an den anderen Augenblick: Beim Letzten Abendmahl beugt er sich nieder, um den Seinen die Füße zu waschen. Das Königtum Jesu hat also nichts zu tun mit dem der Mächtigen der Erde. Er ist ein König, der seinen Dienern dient; das hat er in seinem ganzen Leben gezeigt. Und das gleiche gilt für Maria: Sie ist Königin im Dienst für Gott und für die Menschheit, sie ist Königin der Liebe, die die Selbsthingabe an Gott lebt, um in den Heilsplan für den Menschen einzutreten. Dem Engel antwortet sie: Ich bin die Magd des Herrn (vgl. Lk 1,38), und im Magnifikat singt sie: Gott hat auf die Niedrigkeit Seiner Magd geschaut (vgl. Lk 1,48). Sie hilft uns. Sie ist Königin, gerade indem sie uns liebt, uns in jeder Not beisteht; sie ist unsere Schwester, eine demütige Magd.
Und so sind wir bereits beim folgenden Aspekt angekommen: Wie übt Maria dieses Königtum des Dienstes und der Liebe aus? Indem sie über uns, ihre Kinder, wacht: die Kinder, die sich im Gebet an sie wenden, um ihr zu danken oder ihren mütterlichen Schutz und ihren himmlischen Beistand zu erbitten, vielleicht nachdem sie den Weg verloren haben, bedrückt vom Schmerz oder von der Angst aufgrund der traurigen und leidvollen Ereignisse des Lebens. In der Freude oder in der Dunkelheit des Daseins wenden wir uns an Maria und vertrauen uns ihrer beständigen Fürbitte an, auf dass sie uns vom Sohn alle Gnade und Barmherzigkeit erlangen möge, die notwendig sind für unser Pilgern auf den Straßen der Welt. An Ihn, Der die Welt regiert und das Schicksal des Universums in den Händen hält, wenden wir uns vertrauensvoll durch die Jungfrau Maria. Seit Jahrhunderten wird sie als himmlische Königin des Himmels verehrt; achtmal wird sie nach dem Rosenkranzgebet in der Lauretanischen Litanei als Königin angerufen: als Königin der Engel, der Patriarchen, der Propheten, der Apostel, der Märtyrer, der Bekenner, der Jungfrauen, aller Heiligen und der Familien. Der Rhythmus dieser uralten Anrufungen und tägliche Gebete wie das Salve Regina zu verstehen, dass die allerseligste Jungfrau als unsere Mutter beim Sohn Jesus in der Herrlichkeit des Himmels im täglichen Ablauf unseres Lebens stets bei uns ist. Der Titel »Königin« ist also ein Titel des Vertrauens, der Freude, der Liebe. Und wir wissen, dass sie, die das Schicksal der Welt zum Teil in ihren Händen hält, gut ist, uns liebt und uns in unseren Schwierigkeiten beisteht.
Liebe Freunde, die Verehrung der Gottesmutter ist ein wichtiges Element des geistlichen Lebens. In unserem Gebet wollen wir uns stets vertrauensvoll an sie wenden. Maria wird nicht säumen, bei ihrem Sohn für uns Fürbitte einzulegen. Indem wir auf sie schauen, wollen wir ihren Glauben nachahmen, die volle Bereitschaft für den Liebesplan Gottes, die großherzige Annahme Jesu. Lernen wir von Maria zu leben. Maria ist als Königin des Himmels Gott nahe, aber sie ist auch die Mutter, die einem jeden von uns nahe ist, die uns liebt und unsere Stimme hört. Danke für die Aufmerksamkeit.



15.08.2022

Fest Mariä Aufnahme in den Himmel = Mariä Himmelfahrt




PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI.
Fest Mariä Aufnahme in den Himmel = Mariä Himmelfahrt
Pfarrkirche des hl. Thomas von Villanova, Castel Gandolfo
Sonntag, 15. August 2010


Eminenz,
Exzellenz,
geehrte Obrigkeiten,
liebe Brüder und Schwestern!

Heute feiert die Kirche eines der wichtigsten Feste im Kirchenjahr, die der allerseligsten Jungfrau Maria gewidmet sind: Mariä Himmelfahrt. Am Ende ihres irdischen Lebens ist Maria mit Leib und Seele in den Himmel erhoben worden, das heißt in die Herrlichkeit des ewigen Lebens, in die volle und vollkommene Gemeinschaft mit Gott.
Dieses Jahr begehen wir den 60. Jahrestag, seit der ehrwürdige Diener Gottes Papst Pius XII. am 1. November 1950 dieses Dogma feierlich verkündet hatte, und ich möchte die Formel der Dogmatisierung vorlesen, wenngleich sie ein wenig kompliziert ist. Der Papst sagte: »Deshalb hat es die erhabene Mutter Gottes, mit Jesus Christus von aller Ewigkeit her durch ein und denselben Ratschluss der Vorherbestimmung auf geheimnisvolle Weise verbunden, unbefleckt in ihrer Empfängnis, in ihrer göttlichen Mutterschaft völlig unversehrte Jungfrau, die edle Gefährtin des göttlichen Erlösers, der den völligen Triumph über die Sünde und ihre Folgen davongetragen hat, schließlich als höchste Krone ihrer Vorrechte erlangt, dass sie von der Verwesung des Grabes unversehrt bewahrt wurde und dass sie, wie schon ihr Sohn, nach dem völligen Sieg über den Tod mit Leib und Seele zur erhabenen Herrlichkeit des Himmels emporgehoben wurde, wo sie zur Rechten eben dieses ihres Sohnes, des unsterblichen Königs der Zeiten, als Königin erstrahlen sollte« (Apostolische Konstitution Munificentissimus Deus, AAS 42 [1950], 768–769).
Das also ist der Kern unseres Glaubens an die Aufnahme in den Himmel: Wir glauben, dass Maria wie Christus, ihr Sohn, bereits über den Tod gesiegt hat und schon in der himmlischen Herrlichkeit in der Ganzheit ihres Seins »mit Leib und Seele« den Triumph fortträgt. In der zweiten Lesung von heute hilft uns der hl. Paulus, etwas Licht auf dieses Geheimnis zu werfen, während er von der zentralen Tatsache der Menschheitsgeschichte und unseres Glaubens ausgeht: das heißt von der Tatsache der Auferstehung Christi, der der »Erste der Entschlafenen« ist. Versenkt in Sein Paschageheimnis sind wir Seines Sieges über die Sünde und den Tod teilhaftig geworden. Hierin liegen das überraschende Geheimnis und das Schlüsselereignis der gesamten menschlichen Geschichte. Der hl. Paulus sagt uns, daß wir alle in Adam, den ersten und alten Menschen, »einverleibt« sind, wir alle besitzen dasselbe menschliche Erbe; zu diesem gehören: das Leid, der Tod, die Sünde. Doch zu dieser Wirklichkeit, die wir alle jeden Tag sehen und erleben können, kommt etwas Neues hinzu: Wir stehen nicht nur in diesem Erbe des einzigen Menschseins, das mit Adam seinen Anfang genommen hat, sondern wir sind auch in den neuen Menschen »einverleibt«, in den auferstandenen Christus, und so ist das Leben der Auferstehung bereits in uns gegenwärtig. Diese erste biologische »Einverleibung« ist also eine Einverleibung in den Tod, eine Einverleibung, die den Tod hervorbringt. Die zweite und neue, die uns in der Taufe geschenkt wird, ist die »Einverleibung«, die das Leben schenkt. Ich zitiere noch einmal die zweite Lesung von heute, in welcher der hl. Paulus sagt: »Da nämlich durch einen Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch einen Menschen auch die Auferstehung der Toten. Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden. Es gibt aber eine bestimmte Reihenfolge: Erster ist Christus; dann folgen, wenn Christus kommt, alle, die zu Ihm gehören« (1 Kor 15, 21–24).
Was der hl. Paulus von allen Menschen erklärt, sagt nun die Kirche in ihrem unfehlbaren Lehramt von Maria, auf klare Weise und in einem genauen Sinn: Die Gottesmutter ist derart in das Geheimnis Christi eingeschrieben, dass sie der Auferstehung ihres Sohnes mit ihrem ganzen Sein bereits am Ende ihres irdischen Lebens teilhaftig wird; sie lebt das, was wir am Ende der Zeiten erwarten, wenn der »letzte Feind«, der Tod, vernichtet werden wird (vgl. 1 Kor 15,26); sie lebt bereits das, was wir im Glaubensbekenntnis erklären: »Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt.«
So dürfen wir uns fragen: Was sind die Wurzeln dieses Sieges über den Tod, der in Maria wunderbar vorweggenommen ist? Die Wurzeln liegen im Glauben der Jungfrau von Nazaret, wie der Abschnitt aus dem Evangelium bezeugt, den wir soeben gehört haben (Lk 1,39–56): ein Glaube, der Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes und völlige Hingabe an die Initiative und das Wirken Gottes ist, entsprechend dem, was ihr der Erzengel verkündet. Der Glaube ist also die Größe Mariens, wie Elisabet voller Freude ausruft: Maria ist »gesegnet unter den Frauen«, »gesegnet ist die Frucht ihres Leibes«, da sie »die Mutter des Herrn« ist, da sie glaubt und auf einzigartige Weise die »erste« der Seligkeiten lebt, die Seligkeit des Glaubens. Elisabet bekennt es in ihrer Freude und in der des Kindes, das in ihrem Leib hüpft: »Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ« (V. 45). Liebe Freunde, beschränken wir uns nicht darauf, Maria in ihrer Bestimmung zur Herrlichkeit als einen Menschen zu bewundern, der weit weg von uns ist: Nein! Wir sind dazu aufgerufen, auf das zu blicken, was der Herr in Seiner Liebe auch für uns gewollt hat, für unsere endgültige Bestimmung: durch den Glauben mit Ihm in der vollkommenen Gemeinschaft der Liebe zu leben und so wahrhaft zu leben.
Diesbezüglich möchte ich bei einem Aspekt der dogmatischen Erklärung verweilen, wo von der Aufnahme in die himmlische Herrlichkeit die Rede ist. Wir alle sind uns heute bewusst, daß wir uns mit dem Begriff »Himmel« nicht auf irgendeinen Ort im Universum beziehen, auf einen Stern oder ähnliches: Nein. Wir beziehen uns auf etwas, das viel größer und schwer mit unseren begrenzten menschlichen Begriffen zu bestimmen ist. Mit diesem Begriff des »Himmels« wollen wir sagen, dass uns Gott, der Gott, Der uns nahe geworden ist, nicht einmal im Tod und jenseits des Todes verlässt, sondern einen Platz für uns hat und uns die Ewigkeit schenkt; wir wollen sagen, dass es in Gott einen Platz für uns gibt. Um diese Wirklichkeit ein wenig besser zu verstehen, wollen wir auf unser Leben blicken: Wir alle machen die Erfahrung, dass ein Mensch, wenn er gestorben ist, in einer bestimmten Weise in der Erinnerung und im Herzen derer weiterlebt, die ihn gekannt und geliebt haben. Wir könnten sagen, dass in ihnen ein Teil dieser Person weiterlebt, doch sie ist wie ein »Schatten«, da auch dieses Weiterleben im Herzen der Lieben dazu bestimmt ist, zu einem Ende zu kommen. Gott hingegen vergeht nie, und wir alle existieren kraft Seiner Liebe. Wir existieren, weil Er uns liebt, weil Er uns gedacht und ins Leben gerufen hat. Wir existieren in den Gedanken und in der Liebe Gottes. Wir existieren in unserer gesamten Wirklichkeit, nicht nur als unser »Schatten«. Unsere Zuversicht, unsere Hoffnung, unser Friede gründen gerade darin, dass in Gott, in Seinem Gedanken und in Seiner Liebe, nicht nur ein »Schatten« unserer selbst überlebt, sondern in Ihm, in Seiner Schöpferliebe werden wir behütet und mit unserem ganzen Leben, mit unserem ganzen Sein in die Ewigkeit eingeführt.
Es ist Seine Liebe, die über den Tod siegt und uns die Ewigkeit schenkt, und es ist diese Liebe, die wir »Himmel« nennen: Gott ist so groß, dass Er auch für uns Platz hat. Und der Mensch Jesus, der gleichzeitig Gott ist, ist für uns die Gewährleistung dessen, dass Mensch-Sein und Gott-Sein auf ewig miteinander existieren und leben können. Das will heißen, dass von einem jeden von uns nicht nur ein Teil fortbestehen wird, der uns sozusagen entrissen worden ist, während andere Teile vergehen; es will vielmehr besagen, dass Gott den ganzen Menschen, der wir sind, kennt und liebt. Und Gott nimmt in Seine Ewigkeit das auf, was jetzt, in unserem Leben, das aus Leiden und Liebe, aus Hoffnung, Freude und Traurigkeit besteht, wächst und ins Sein kommt. Der ganze Mensch, sein ganzes Leben wird von Gott genommen und empfängt – in Ihm gereinigt – die Ewigkeit.
Liebe Freunde, ich denke, dass dies eine Wahrheit ist, die uns mit tiefer Freude erfüllen muss. Das Christentum verkündet nicht nur irgendein Heil der Seele in einem nicht weiter bestimmten Jenseits, in dem alles, was in dieser Welt kostbar und teuer gewesen ist, ausgelöscht werden würde, sondern es verheißt das ewige Leben, »das Leben der kommenden Welt«: Nichts von dem, was uns kostbar und teuer ist, wird vergehen, sondern es wird Fülle in Gott finden. Alle Haare auf unserem Kopf sind gezählt, sagte Jesus eines Tages (vgl. Mt 10,30). Die endgültige Welt wird auch die Vollendung dieser Erde sein, wie der hl. Paulus sagt: »Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes« (Röm 8,21). So ist zu verstehen, wie das Christentum eine starke Hoffnung auf eine lichtvolle Zukunft schenkt und einen Weg zur Verwirklichung dieser Zukunft auftut. Gerade als Christen sind wir dazu berufen, diese neue Welt zu errichten, zu arbeiten, damit sie eines Tages die »Welt Gottes« werde, eine Welt, die über all das hinausgehen wird, was wir errichten könnten. In der in den Himmel aufgenommenen Jungfrau Maria, die gänzlich der Auferstehung des Sohnes teilhaftig ist, betrachten wir die Verwirklichung des menschlichen Geschöpfes nach der »Welt Gottes«. Beten wir zum Herrn, dass er uns begreifen lasse, wie kostbar in Seinen Augen unser ganzes Leben ist; er stärke unseren Glauben an das ewige Leben; er lasse uns Menschen der Hoffnung sein, die für den Aufbau einer Welt wirken, die offen ist für Gott, Menschen voller Freude, die es verstehen, die Schönheit der künftigen Welt inmitten der Mühen des alltäglichen Lebens zu erkennen, und die in dieser Gewissheit leben, glauben und hoffen. Amen.



06.08.2022

Fest Verklärung des Herrn




Predigt von Papst Benedikt XVI.
zur Verklärung des Herrn
Zweiter Sonntag der Fastenzeit
beim Angelus am Sonntag, 20. März 2011,

Liebe Brüder und Schwestern,

[...]. der heutige zweite Sonntag der Fastenzeit wird Sonntag der
Verklärung genannt, da das Evangelium von diesem Geheimnis im Leben Christi berichtet. Nachdem Er Seinen Jüngern Sein Leiden angekündigt hatte, »nahm Er Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg. Und Er wurde vor ihren Augen verwandelt; Sein Gesicht leuchtete wie die Sonne, und Seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht« (Mt 17, 1–2). Für die Sinne ist das Sonnenlicht die stärkste Wahrnehmung, die man in der Natur kennt, doch dem Geist entsprechend erblickten die Jünger für eine kurze Zeit einen noch stärkeren Glanz, den Glanz der göttlichen Herrlichkeit Jesu, der die ganze Heilsgeschichte erleuchtet. Der hl.
Maximus Confessor sagt: »Die weiß gewordenen Kleider trugen das Symbol der Worte der Heiligen Schrift, die klar und durchsichtig und hell wurden« (Ambiguum 10: PG 91, 1128 B).
Das Evangelium sagt, dass neben dem verklärten Jesus »Mose und Elija erschienen und mit Jesus redeten« (Mt 17,3); Mose und Elija, Bild des Gesetzes und der Propheten. So kam es, dass Petrus verzückt ausrief:
»Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn Du willst, werde ich hier drei Hütten bauen, eine für Dich, eine für Mose und eine für Elija« (Mt 17,4).
Doch der hl. Augustinus sagt in seinem Kommentar, dass wir nur eine
Wohnstatt haben: Christus. Er »ist das Wort Gottes, Wort Gottes im
Gesetz, Wort Gottes in den Propheten« (Sermo De Verbis Ev. 78, 3: PL
38, 491). Tatsächlich erklärt der Vater selbst: »Das ist Mein geliebter Sohn, an dem Ich Gefallen gefunden habe; auf Ihn sollt ihr hören« (Mt 17,5).
Die Verklärung ist keine Veränderung Jesu, sondern die Offenbarung Seiner Göttlichkeit, »die innerste Durchdringung Seines Seins mit Gott, die reines Licht wird. In Seinem Einssein mit dem Vater ist Jesus selbst Licht vom Licht« (Jesus von Nazareth, Freiburg-Basel-Wien 2007, S.
357). Durch die Betrachtung der Göttlichkeit des Herrn werden Petrus,
Jakobus und Johannes darauf vorbereitet, sich dem Ärgernis des
Kreuzes zu stellen, wie in einem alten Hymnus besungen wird: »Auf dem
Berg hast Du Dich verklärt, und soweit sie dazu fähig waren, haben
Deine Jünger Deine Herrlichkeit betrachtet, damit sie, wenn sie Dich am Kreuz sehen, begreifen, dass Dein Leiden freiwillig war, und sie der Welt verkündigen, dass Du wahrhaft der Glanz des Vaters bist« (Κοντάκιον εἰς τὴν Μεταμόρφωσιν, in: Μηναῖα, t. 6, Rom 1901, 341).
Liebe Freunde, nehmen auch wir an dieser Vision und an diesem übernatürlichen Geschenk Anteil, indem wir dem Gebet und dem Hören des Wortes Gottes Raum geben. Darüber hinaus rufe ich euch
besonders in der Fastenzeit auf, wie der Diener Gottes Paul VI. schreibt, »dem göttlichen Gebot der Buße mit manch freiwilligem Tun zu entsprechen, jenseits der Entsagungen, welche die Last des alltäglichen Lebens auferlegt« (Apostolische Konstitution Pænitemini, 17. Februar
1966, III, c: AAS 58 [1966], 182). Beten wir zur Jungfrau Maria, dass Sie uns helfe, stets Jesus, den Herrn, zu hören und Ihm zu folgen, bis hin zur Passion und zum Kreuz, um auch Seiner Herrlichkeit teilhaftig zu werden.


04.08.2022

Gedenktag des Hl. Pfarrer von Ars




Predigt von Papst BENEDIKT XVI.
Hl Jean-Marie Vianney, des Pfarrers von Ars
Generalaudienz
Mittwoch, 5. August 2009

Liebe Brüder und Schwestern,

in der heutigen Katechese möchte ich kurz auf das Leben des heiligen Pfarrers von Ars eingehen und dabei einige Aspekte hervorheben, die auch den Priestern unserer Zeit als Vorbild dienen können. Gewiß unterscheidet sich unsere Zeit von der, in der er lebte, aber sie ist in vielerlei Hinsicht von den gleichen grundlegenden menschlichen und geistlichen Herausforderungen geprägt. Gestern war der 150. Jahrestag seiner Geburt zum Himmel: Am 4. August 1859, um zwei Uhr morgens, ging Johannes Maria Vianney nach Beendigung seines irdischen Lebens dem himmlischen Vater entgegen, um das Reich in Besitz zu nehmen, das seit Erschaffung der Welt für jene bestimmt ist, die treu seiner Lehre folgen (vgl. Mt 25,34). Welch großes Fest muss im Paradies gewesen sein bei der Ankunft eines so eifrigen Hirten! Welch einen Empfang muss ihm die Schar der Kinder bereitet haben, die durch seine Arbeit als Pfarrer und Beichtvater mit dem himmlischen Vater versöhnt wurden! Ich habe diesen Jahrestag zum Anlass genommen, um das Priester-Jahr auszurufen, das bekanntlich unter dem Thema steht: »Treue Christi, Treue des Priesters«. Von der Heiligkeit hängt die Glaubwürdigkeit des Zeugnisses und letztlich auch die Wirkkraft der Sendung eines jeden Priesters ab.
Johannes Maria Vianney wurde am 8. Mai 1786 in dem kleinen Dorf Dardilly in einer Bauernfamilie geboren, die arm war an materiellen Gütern, aber reich an Menschlichkeit und Glauben. Wie es in der Zeit guter Brauch war, wurde er noch am Tag seiner Geburt getauft. Die Jahre seiner Kindheit und Jugend verbrachte er mit Feldarbeit und beim Weiden der Tiere, und so war er im Alter von 17 Jahren noch Analphabet. Er wusste jedoch die Gebete auswendig, die seine fromme Mutter ihm beigebracht hatte, und er nährte sich von der religiösen Atmosphäre, die bei ihm zu Hause herrschte. Die Biographen berichten, daß er von frühester Jugend an versuchte, auch bei der Verrichtung der bescheidensten Aufgaben den Willen Gottes zu erfüllen. Im Herzen hegte er den Wunsch, Priester zu werden, aber es fiel ihm nicht leicht, ihn zu verwirklichen. Erst nachdem er nicht wenige Widrigkeiten und viel Unverständnis überwunden hatte, gelangte er zur Priesterweihe, dank der Hilfe weiser Priester, die nicht bei der Betrachtung seiner menschlichen Grenzen stehenblieben, sondern darüber hinausblickten und intuitiv den Horizont der Heiligkeit wahrnahmen, der sich in diesem wirklich einzigartigen jungen Mann abzeichnete. So wurde er am 23. Juni 1815 zum Diakon geweiht und am 13. August desselben Jahres zum Priester. Im Alter von 29 Jahren konnte er endlich nach vielen Ungewißheiten, nicht wenigen Misserfolgen und vielen Tränen an den Altar des Herrn treten und seinen Lebenstraum verwirklichen.
Der heilige Pfarrer von Ars bewies stets große Hochachtung vor dem Geschenk, das er erhalten hatte. Er sagte: »Wie großartig ist doch das Priestertum! Man wird es erst im Himmel wirklich verstehen … und verstünde man es auf Erden, so würde man sterben, nicht vor Angst, sondern aus Liebe!« (Abbé Monnin, Esprit du Curéd’Ars, S. 113). Als kleiner Junge hatte er sich auch der Mutter anvertraut: »Wenn ich Priester wäre, wollte ich viele Seelen gewinnen« (Abbé Monnin, Procès de l’ordinaire, S. 1064). Und so war es. Im Hirtendienst, der ebenso einfach wie außergewöhnlich fruchtbar war, konnte dieser unbekannte Pfarrer eines abgelegenen Dorfes in Südfrankreich sich so sehr mit seinem Priesteramt identifizieren, dass er – auch sichtbar und allgemein erkenntlich – zum »alten Christus« wurde, zum Bild des guten Hirten, der im Gegensatz zum bezahlten Knecht sein Leben hingibt für die Schafe (vgl. Joh 10,11). Nach dem Vorbild des guten Hirten gab er in den Jahrzehnten seines priesterlichen Dienstes sein Leben hin. Seine ganze Existenz war eine lebendige Katechese, die ganz besondere Wirkkraft bekam, wenn die Menschen sahen, wie er die Messe feierte, in Anbetung vor dem Tabernakel kniete oder viele Stunden im Beichtstuhl verbrachte.
Der Mittelpunkt seines ganzen Lebens war also die Eucharistie, die er mit frommer Hochachtung feierte und anbetete. Ein weiteres Grundmerkmal dieses außergewöhnlichen Priesters war der unermüdliche Dienst im Beichtstuhl. In der Praxis des Bußsakraments erkannte er die logische und natürliche Erfüllung des priesterlichen Apostolats, gehorsam gegenüber dem Auftrag Christi: »Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert« (Joh 20,23). Der hl. Johannes Maria Vianney zeichnete sich also als hervorragender und unermüdlicher Beichtvater und geistlicher Lehrer aus. »In einer einzigen inneren Bewegung« ging er über »vom Altar zum Beichtstuhl«, wo er einen großen Teil des Tages verbrachte, und »versuchte auf alle Arten, durch Predigt und überzeugenden Ratschlag, die Mitglieder seiner Pfarrei die Bedeutung und die Schönheit der sakramentalen Buße neu entdecken zu lassen, indem er sie als eine mit der eucharistischen Gegenwart innerlich verbundene Notwendigkeit darstellte« (vgl. Schreiben zum Beginn des Priesterjahres).
Die pastoralen Methoden des hl. Johannes Maria Vianney mögen für die gegenwärtigen gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse wenig geeignet erscheinen. Wie soll ein heutiger Priester ihn nachahmen, in einer Welt, die sich so sehr verändert hat? Es ist wahr, dass die Zeiten sich ändern und viele Charismen personengebunden, also unnachahmlich sind. Dennoch gibt es einen Lebensstil und eine tiefe Sehnsucht, die zu pflegen wir alle berufen sind. Genauer betrachtet war das, was den Pfarrer von Ars heiliggemacht hat, seine demütige Treue zu der Sendung, zu der Gott ihn berufen hatte, seine immerwährende vertrauensvolle Hingabe in die Hände der göttlichen Vorsehung. Nicht kraft seiner menschlichen Fähigkeiten und auch nicht ausschließlich durch den Einsatz seines Willenseifers – so lobenswert dieser auch sein mag – gelang es ihm, die Herzen der Menschen zu berühren. Er eroberte die Seelen, auch die widerspenstigsten, indem er ihnen das vermittelte, was er im Innersten lebte: seine Freundschaft mit Christus. Er war in Christus »verliebt«, und das wahre Geheimnis seines pastoralen Erfolgs war seine Liebe zum verkündigten, gefeierten und gelebten eucharistischen Geheimnis. Sie wurde zur Liebe für die Herde Christi, für die Christen und für alle Menschen, die Gott suchen. Sein Zeugnis erinnert uns daran, liebe Brüder und Schwestern, daß für jeden Getauften, und noch mehr für den Priester, die Eucharistie »nie bloß ein Geschehen zu zweien, ein Dialog zwischen Christus und mir [ist]. Die eucharistische Kommunion zielt auf eine totale Umgestaltung des eigenen Lebens ab. Sie bricht das ganze Ich des Menschen auf und schafft ein neues Wir« (Joseph Ratzinger, Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio, S. 69).
Die Gestalt des hl. Johannes Maria Vianney darf also keinesfalls auf ein – wenn auch bewundernswertes – Beispiel für die durch Frömmigkeit geprägte Spiritualität des 19. Jahrhunderts reduziert werden. Im Gegenteil: man muß die prophetische Kraft wahrnehmen, die seine äußerst aktuelle Persönlichkeit als Mensch und Priester auszeichnet. Im nachrevolutionären Frankreich, das eine Art von »Diktatur des Rationalismus« erlebte, die darauf ausgerichtet war, die Anwesenheit der Priester und der Kirche in der Gesellschaft auszulöschen, lebte er zunächst – in seiner Jugendzeit – einen heroischen Glauben im Untergrund und ging in der Nacht kilometerweit, um an der heiligen Messe teilzunehmen. Dann – als Priester – zeichnete er sich durch eine einzigartige und fruchtbare pastorale Schaffenskraft aus, was beweist, daß der damals vorherrschende Rationalismus in Wahrheit weit davon entfernt war, die wahren Bedürfnisse des Menschen zu stillen und dass er daher letztendlich nicht lebbar war.
Liebe Brüder und Schwestern, 150 Jahre nach dem Tod des heiligen Pfarrers von Ars sind die Herausforderungen der heutigen Gesellschaft nicht weniger anspruchsvoll; vielleicht sind sie sogar komplexer geworden. Wenn es damals die »Diktatur des Rationalismus« gab, so läßt sich in der heutigen Zeit in vielen Bereichen eine Art »Diktatur des Relativismus« verzeichnen. Beide sind keine geeignete Antwort auf den berechtigten Wunsch des Menschen, seine Vernunft in vollem Maße einzusetzen als charakteristisches und formendes Element seiner eigenen Identität. Der Rationalismus war dafür ungeeignet, weil er die Grenzen des Menschen außer Acht ließ und den Anspruch erhob, nur die Vernunft zum Maß aller Dinge zu erheben, die er so zur Göttin machte; der gegenwärtige Relativismus demütigt die Vernunft, weil er soweit geht zu behaupten, daß der Mensch nichts mit Gewissheit erkennen kann, was über den empirischen wissenschaftlichen Bereich hinausgeht. Ebenso wie damals ist der Mensch, der »nach Sinn und Erfüllung fleht« auch heute ständig auf der Suche nach erschöpfenden Antworten auf die grundlegenden Fragen, die er sich unablässig stellt.
Die Väter des Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzils hatten diesen »Durst nach Wahrheit«, der im Herzen eines jeden Menschen brennt, präsent, als sie sagten, dass den Priestern als »Erziehern im Glauben« die »Bildung einer echten christlichen Gemeinschaft« obliegt, die »allen Menschen den Weg zu Christus ebnet«, ihnen »eine echte Mütterlichkeit« bezeigt und denen, die nicht glauben, »den Weg zu Christus« und zu seiner Kirche »weist und bahnt« und »auch die Gläubigen anregt, stärkt und zum geistlichen Kampf rüstet« (vgl. Presbyterorumordinis, 6). Der heilige Pfarrer von Ars lehrt uns in diesem Zusammenhang auch weiterhin, daß der Priester an die Basis eines solchen pastoralen Einsatzes die innige persönliche Vereinigung mit Christus stellen muß, die Tag für Tag gepflegt und vertieft werden muss. Nur wenn er in Christus verliebt ist, kann der Priester allen diese Vereinigung lehren, diese enge Freundschaft mit dem göttlichen Meister, kann er die Herzen der Menschen berühren und sie öffnen für die barmherzige Liebe des Herrn. Nur so kann er folglich in den Gemeinden, die der Herr ihm anvertraut, Begeisterung und geistliche Lebenskraft erwecken. Beten wir darum, dass durch die Fürsprache des hl. Johannes Maria Vianney Gott seiner Kirche heilige Priester schenken möge und dass in den Gläubigen der Wunsch erwachsen möge, ihren Dienst durch ihre Mitarbeit zu unterstützen. Diese Bitte wollen wir Maria anvertrauen, die wir heute als »Muttergottes vom Schnee« verehren.



23.07.2021

Predigt von Benedikt XVI.
Die HL BIRGITTA und die Hauskirche
(Generalaudienz am 27. Oktober 2010):

Wir können im Leben dieser Heiligen zwei Phasen unterscheiden. Die erste ist gekennzeichnet durch ihren Lebensstand als glücklich verheiratete Frau. Ihr Gatte hieß Ulf und war Landvogt einer bedeutenden Region des Königreichs Schweden. Die Ehe dauerte 28 Jahre, bis zu Ulfs Tod. Acht Kinder gingen daraus hervor, von denen die Zweitgeborene, Karin (Katharina), als Heilige verehrt wird. Das ist ein beredtes Zeichen für Birgittas Bemühungen um die Erziehung ihrer Kinder. […]
Unter der geistlichen Leitung eines gebildeten Ordensmannes, der sie in das Studium der Heiligen Schrift einführte, übte Birgitta einen sehr positiven Einfluss auf ihre Familie aus, die dank ihrer Gegenwart zu einer wahren „Hauskirche“ wurde. Zusammen mit ihrem Ehemann nahm sie die Regel des Dritten Ordens der Franziskaner an. Sie verrichtete großherzige Werke der Nächstenliebe gegenüber den Bedürftigen und gründete auch ein Hospital. An der Seite seiner Gemahlin lernte Ulf, seinen Charakter zu verbessern und im christlichen Leben voranzuschreiten. Bei der Rückkehr von einer langen Pilgerreise nach Santiago de Compostela […] reifte in den Eheleuten das Vorhaben heran, in Enthaltsamkeit zu leben; aber kurz darauf beschloss Ulf im Frieden eines Klosters, in das er sich zurückgezogen hatte, sein irdisches Leben.
Dieser erste Abschnitt von Birgittas Leben hilft uns, das besser schätzen zu lernen, was wir heute als wahre „Ehespiritualität“ bezeichnen könnten: Gemeinsam können die christlichen Eheleute einen Weg der Heiligkeit beschreiten, gestützt von der Gnade des Ehesakraments. Nicht selten ist es – wie im Leben der hl. Birgitta und des Ulf – die Frau, der es gelingt, mit ihrer religiösen Sensibilität, mit Einfühlsamkeit und Sanftheit den Ehemann einen Glaubensweg beschreiten zu lassen. Ich denke mit Anerkennung an die vielen Frauen, die Tag für Tag auch heute noch ihre Familien mit ihrem Zeugnis des christlichen Lebens erleuchten. Möge der Geist des Herrn auch heute die Heiligkeit der christlichen Eheleute erwecken, um der Welt die Schönheit der Ehe zu zeigen, die nach den Werten des Evangeliums gelebt wird: Liebe, Zärtlichkeit, gegenseitige Hilfe, Fruchtbarkeit in der Zeugung und Erziehung der Kinder, Öffnung und Solidarität gegenüber der Welt, Teilnahme am Leben der Kirche.



02.07.2022

Fest Mariä Heimsuchung




Ansprache von Benedikt XVI.
Heimsuchung Mariens
Lourdes-Grotte, Vatikanische Gärten,
31. Mai 2011

Während wir heute die Heimsuchung Mariens betrachten, werden wir angeregt, gerade über diesen Mut des Glaubens nachzudenken. Diejenige, die Elisabet in ihrem Haus empfängt, ist die Jungfrau, die der Verkündigung des Engels »geglaubt hat« und im Glauben geantwortet hat. So hat sie mutig den Plan Gottes für ihr Leben angenommen und damit das ewige Wort des Höchsten in sich aufgenommen. Wie mein seliger Vorgänger in der Enzyklika Redemptoris Mater hervorgehoben hat, hat Maria ihr fiat im Glauben gesprochen, »sie hat sich ohne Vorbehalte Gott überantwortet und ›gab sich als Magd des Herrn ganz der Person und dem Werk ihres Sohnes hin‹« (Nr. 13; vgl. II. Vat. Konzil, Dogmat. Konstitution Lumen gentium, 56). Deshalb ruft Elisabet bei ihrem Gruß aus: »Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ« (Lk 1,45). Maria hat wirklich geglaubt, dass »für Gott nichts unmöglich ist« (V. 37), und gestützt auf dieses Vertrauen hat sie sich vom Heiligen Geist führen lassen im täglichen Gehorsam gegenüber Seinen Plänen.
Wie sollten wir für unser eigenes Leben nicht dieselbe vertrauensvolle Hingabe wünschen? Wie könnten wir uns jener Seligkeit verwehren, die aus einer so innerlichen und tiefen Vertrautheit mit Jesus erwächst? Deshalb wollen wir uns heute an diejenige wenden, die »voll der Gnade« ist, und sie bitten, von der göttlichen Vorsehung auch für uns zu erlangen, dass wir jeden Tag unser »Ja« zu den Plänen Gottes sagen – mit demselben demütigen und aufrichtigen Glauben, mit dem sie ihr »Ja« gesprochen hat. Sie, die sich Gott vorbehaltlos überlassen hat, als sie das Wort Gottes in sich aufnahm, möge uns zu einer immer großherzigeren und bedingungsloseren Antwort auf Seine Pläne führen, auch wenn wir gerufen sind, das Kreuz zu umarmen.




29.06.2022

HOCHFEST PETRUS UND PAULUS



PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI.
Petersdom
Donnerstag, 29. Juni 2006

»Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen« (Mt 16,18). Was sagt der Herr mit diesen Worten eigentlich zu Petrus? Was verheißt er ihm durch sie, und welchen Auftrag vertraut er ihm an? Und was sagt er uns – dem Bischof von Rom, der auf dem Stuhl Petri sitzt, und der Kirche von heute? Um die Bedeutung der Worte Jesu zu verstehen, ist es hilfreich, sich daran zu erinnern, dass die Evangelien uns drei verschiedene Situationen vor Augen halten: Jedes Mal überträgt der Herr dem Petrus seine zukünftige Aufgabe auf eine besondere Weise. Es geht dabei immer um dieselbe Aufgabe, aber durch die unterschiedlichen Situationen und Bilder, die gebraucht werden, wird uns deutlicher, was dem Herrn an dieser Aufgabe am Herzen lag und liegt.
Im Matthäusevangelium, aus dem wir soeben den entsprechenden Abschnitt gehört haben, legt Petrus Jesus gegenüber sein Bekenntnis ab, indem er ihn als Messias und Sohn Gottes anerkennt. Auf dieser Grundlage wird ihm seine besondere Aufgabe übertragen, wozu drei Bilder verwandt werden: das Bild des Felsens, der zum Grundstein oder zum Eckstein wird, das Bild der Schlüssel und das Bild des Bindens und Lösens. Ich habe nicht die Absicht, diese drei Bilder, die die Kirche im Laufe der Jahrhunderte immer wieder erklärt hat, jetzt noch einmal auszulegen; ich möchte vielmehr die Aufmerksamkeit auf den geographischen Ort und den chronologischen Kontext dieser Worte lenken. Die Verheißung geschieht bei den Jordanquellen, am Rand des jüdischen Landes, an der Grenze zur heidnischen Welt. Der Augenblick der Verheißung kennzeichnet einen entscheidenden Wendepunkt auf dem Weg Jesu: Jetzt bricht der Herr nach Jerusalem auf und sagt den Jüngern zum ersten Mal, dass dieser Weg in die Heilige Stadt der Weg zum Kreuz ist: »Von da an begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären, er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten vieles erleiden; er werde getötet werden, aber am dritten Tag werde er auferstehen« (Mt 16,21). Beide Dinge gehören zusammen und legen den inneren Ort des Primats, ja sogar der Kirche im allgemeinen fest: Der Herr ist stets auf dem Weg zum Kreuz, zur Niedrigkeit des leidenden und getöteten Gottesknechtes, aber zugleich ist er immer auch auf dem Weg zur Welt in ihrer ganzen Weite, in der er uns als der Auferstandene vorausgeht, damit in der Welt das Licht seines Wortes und die Gegenwart seiner Liebe aufleuchte; er ist auf dem Weg, damit durch ihn, den gekreuzigten und auferstandenen Christus, Gott selbst in die Welt komme. In diesem Sinne bezeichnet sich Petrus in seinem ersten Brief als »Zeuge der Leiden Christi«, der »auch an der Herrlichkeit teilhaben soll, die sich offenbaren wird« (5,1). Für die Kirche gehören Karfreitag und Ostern stets zusammen; sie ist immer sowohl das Senfkorn als auch der Baum, in dessen Zweigen die Vögel des Himmels nisten. Die Kirche – und in ihr Christus – leidet auch heute. In ihr wird Christus immer wieder verspottet und geschlagen; immer wieder versucht man, ihn aus der Welt zu verdrängen. Immer wieder wird das kleine Boot der Kirche vom Wind der Ideologien hin- und hergeworfen, die mit ihren Wassern eindringen und es scheinbar zum Untergang verurteilen. Und dennoch ist Christus gerade in der leidenden Kirche siegreich. Trotz allem gewinnt der Glaube an ihn immer wieder an Kraft. Auch heute gebietet der Herr den Wassern und erweist sich als Herr der Elemente. Er bleibt in seinem Boot, im Schifflein der Kirche. So offenbart sich auch im Dienst des Petrus einerseits die Schwachheit dessen, was zum Menschen gehört, aber gleichzeitig auch die Kraft Gottes: Gerade in der Schwachheit der Menschen zeigt der Herr seine Kraft, beweist er, dass er selbst es ist, der mittels schwacher Menschen seine Kirche aufbaut.
Wenden wir uns jetzt dem Lukasevangelium zu, das uns berichtet, dass der Herr während des Letzten Abendmahls Petrus noch einmal eine besondere Aufgabe überträgt (vgl. Lk 22,31–33). Diesmal finden sich die Worte, die Jesus an Simon richtet, gleich nach der Einsetzung der heiligen Eucharistie. Der Herr hat sich unter den Gestalten von Brot und Wein soeben den Seinen geschenkt. In der Einsetzung der Eucharistie können wir den eigentlichen Gründungsakt der Kirche erblicken. Durch die Eucharistie schenkt der Herr den Seinen nicht nur sich selbst, sondern auch die Wirklichkeit einer neuen Gemeinschaft untereinander, die durch die Zeiten hindurch andauert »bis Er kommt« (vgl. 1 Kor 11,26). Durch die Eucharistie werden die Jünger zu seinem lebendigen Haus, das durch die Geschichte hindurch wächst als der neue und lebendige Tempel Gottes in dieser Welt. Und so spricht Jesus sofort nach der Einsetzung des Sakraments davon, was das Jünger-Sein, das »Amt«, in der neuen Gemeinschaft bedeutet: Er sagt, dass es eine Verpflichtung zum Dienst ist, so wie er selbst unter ihnen ist wie der, der bedient. Und dann wendet er sich an Petrus. Er sagt, dass der Satan verlangt hat, die Jünger wie Weizen sieben zu dürfen. Das ruft uns den Abschnitt aus dem Buch Hiob ins Gedächtnis, in dem der Satan von Gott die Erlaubnis fordert, Hiob Schaden zuzufügen. Der Teufel – der Verleumder Gottes und der Menschen – will dadurch beweisen, dass es keine wahre Frömmigkeit gibt, sondern dass im Menschen alles immer und ausschließlich auf den Nutzen ausgerichtet ist. Im Falle des Hiob gesteht Gott dem Satan die verlangte Freiheit zu, um gerade so sein Geschöpf, den Menschen, und sich selbst verteidigen zu können. Und so geschieht es auch mit den Jüngern Jesu – Gott gibt zu allen Zeiten dem Satan eine gewisse Freiheit. Uns erscheint es oft, als ließe Gott dem Satan zu viel Freiheit, als gäbe er ihm die Befugnis, uns in einer Weise zu erschüttern, die zu schrecklich ist, und dies scheint unsere Kräfte zu übersteigen und uns zu sehr zu belasten. Immer wieder werden wir zu Gott schreien: O weh, sieh das Elend deiner Jünger an, ach, beschütze uns! Jesus fährt in der Tat fort: »Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht erlischt« (Lk 22,32). Das Gebet Jesu ist die Grenze, die der Macht des Bösen gesetzt wird. Das Beten Jesu ist der Schutz der Kirche. Wir können Zuflucht finden unter diesem Schutz, uns an ihm festhalten und uns seiner sicher sein. Aber Jesus betet – wie das Evangelium uns sagt – auf besondere Weise für Petrus: »… dass dein Glaube nicht erlischt«. Dieses Gebet Jesu ist gleichzeitig Verheißung und Aufgabe. Das Gebet Jesu beschützt den Glauben des Petrus, jenen Glauben, den er in Cäsarea Philippi bekannt hat: »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!« (Mt 16,16). Diesen Glauben niemals verstummen zu lassen, ihn immer wieder neu zu stärken, gerade auch angesichts des Kreuzes und aller Widersprüchlichkeiten der Welt: Das also ist die Aufgabe des Petrus. Eben darum betet der Herr nicht nur für den persönlichen Glauben des Petrus, sondern für seinen Glauben als Dienst an den anderen Menschen. Und genau das will er sagen mit den Worten: »Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder« (Lk 22,32).
»Wenn du dich wieder bekehrt hast« – dieses Wort ist gleichzeitig Prophezeiung und Verheißung. Es prophezeit die Schwachheit des Simon, der gegenüber einer Magd und einem Knecht leugnen wird, Jesus zu kennen. Durch sein Fallen muss Petrus – und mit ihm jeder seiner Nachfolger – lernen, dass die eigenen Kräfte nicht ausreichen, um die Kirche des Herrn aufzubauen und zu leiten. Niemandem gelingt das nur aus sich heraus. Wie fähig und tüchtig Petrus auch erscheinen mag – er versagt bereits im ersten Augenblick der Prüfung. »Wenn du dich wieder bekehrt hast« – der Herr, der ihm den Fall voraussagt, verspricht ihm auch die Bekehrung: »Da wandte sich der Herr um und blickte Petrus an« (Lk 22,61). Der Blick Jesu bewirkt die Umwandlung und wird für Petrus zur Rettung: »Er ging hinaus und weinte bitterlich« (22,62). Wir wollen immer wieder diesen rettenden Blick Jesu erflehen: für all diejenigen, die in der Kirche Verantwortung tragen, für all diejenigen, die unter den Wirrnissen dieser Zeit leiden, für die Großen und für die Kleinen: Herr, sieh uns immer wieder an und hebe uns auf diese Weise, jedes Mal wenn wir gefallen sind, wieder auf, und nimm uns in deine guten Hände.
Der Herr vertraut Petrus die Aufgabe für die Brüder an, indem er sein Gebet zusagt. Der Auftrag des Petrus ist im Gebet Jesu verankert. Dies gibt ihm die Sicherheit, ihn durch alles menschliche Elend hindurch beharrlich zu erfüllen. Und der Herr vertraut ihm diesen Auftrag beim Abendmahl an, in Verbindung mit dem Geschenk der heiligen Eucharistie. Die Kirche, gegründet bei der Einsetzung der Eucharistie, ist in ihrem innersten Wesen eucharistische Gemeinschaft und ist so Gemeinschaft im Leib des Herrn. Aufgabe des Petrus ist es, dieser universalen Gemeinschaft vorzustehen, sie in der Welt stets als Einheit gegenwärtig zu machen, auch als sichtbare, Leib gewordene Einheit. Er muss, zusammen mit der ganzen Kirche von Rom den Vorsitz in der Liebe führen, wie der hl. Ignatius von Antiochien sagt: den Vorsitz führen in der Gemeinschaft jener Liebe, die von Christus kommt und die immer wieder die Grenzen das Privaten überschreitet, um die Liebe Christi bis an die Enden der Erde zu bringen.
Der dritte Hinweis auf den Primat findet sich im Johannesevangelium (21,15-19). Der Herr ist auferstanden, und als der Auferstandene vertraut er Petrus seine Herde an. Auch hier durchdringen das Kreuz und die Auferstehung einander. Jesus sagt Petrus voraus, dass sein Weg zum Kreuz führen wird. In dieser Basilika, die über dem Grab des Petrus erbaut wurde – einem Armengrab – sehen wir, dass der Herr genau so, durch das Kreuz, immer siegt. Seine Macht ist keine Macht nach weltlichen Maßstäben. Es ist die Macht des Guten – der Wahrheit und der Liebe, die stärker ist als der Tod. Ja, seine Verheißung ist wahr: Die Mächte des Todes, die Mächte der Unterwelt werden die Kirche nicht überwältigen, die er auf Petrus erbaut hat (vgl. Mt. 16,18) und die er auf dieselbe Weise auch weiterhin persönlich aufbaut.



24.06.2022

Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu




PREDIGT VON BENEDIKT XVI.
Herz-Jesu-Fest
Petersplatz
Freitag, 11. Juni 2010

Wir feiern das Herz-Jesu-Fest und schauen mit der Liturgie der Kirche gleichsam in das Herz Jesu hinein, das im Tod von der Lanze des römischen Soldaten geöffnet wurde. Ja, Sein Herz ist offen für uns und vor uns – und damit das Herz Gottes selbst. Die Liturgie legt uns die Sprache des Herzens Jesu aus, die vor allem von Gott als dem Hirten der Menschen spricht und uns damit das Priestertum Jesu zeigt, das im Innersten Seines Herzens verankert ist und den immerwährenden Grund wie den gültigen Maßstab alles priesterlichen Dienstes zeigt, der immer im Herzen Jesu verankert sein und von daher gelebt werden muss. Ich möchte heute vor allem die Texte auslegen, mit denen die betende Kirche auf das in den Lesungen ausgebreitete Wort Gottes antwortet. In diesen Gesängen gehen Wort und Antwort ineinander über. Sie sind einerseits selbst aus Gottes Wort genommen, sind aber zugleich schon Antwort des Menschen darauf, in der das Wort sich mitteilt und in unser Leben eintritt. Am wichtigsten unter diesen Texten ist in der Liturgie von heute der Psalm 23 (22): „Der Herr ist mein Hirte“, in dem das betende Israel die Selbstoffenbarung Gottes als Hirten aufgenommen und zur Wegweisung im eigenen Leben gemacht hat. „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen“ – in diesem ersten Vers spricht sich Freude und Dankbarkeit dafür aus, dass Gott da ist und sich um uns sorgt. Die Lesung aus Ezechiel beginnt mit dem gleichen Motiv: „Ich will Mich Selber um Meine Schafe kümmern“ (Ez 34,11). Gott kümmert Sich persönlich um mich, um uns, um die Menschheit. Ich bin nicht allein gelassen, nicht verloren im Weltall und in einer immer verwirrender werdenden Gesellschaft. ER kümmert sich um mich. Er ist kein ferner Gott, dem mein Leben zu unwichtig wäre. Die Religionen der Welt haben, soweit wir sehen können, immer gewusst, dass es letztlich nur einen Gott gibt. Aber dieser Gott war weit weg. Er überließ allem Anschein nach die Welt anderen Mächten und Gewalten, anderen Gottheiten. Mit ihnen musste man sich arrangieren. Der eine Gott war gut, aber doch fern. Er war nicht gefährlich, aber auch nicht hilfreich. So brauchte man sich mit ihm nicht zu beschäftigen. Er herrschte nicht. In der Aufklärung ist merkwürdigerweise dieser Gedanke zurückgekehrt. Man verstand noch, dass die Welt einen Schöpfer voraussetzt. Aber dieser Gott hatte die Welt gebaut und sich offensichtlich von ihr zurückgezogen. Nun hatte sie ihre Gesetzmäßigkeiten, nach denen sie ablief, in die Gott nicht eingriff, nicht eingreifen konnte. Gott war nur ein ferner Anfang. Viele wollten vielleicht auch gar nicht, dass Gott Sich um sie kümmere. Sie wollten nicht gestört sein durch Gott. Wo aber Gottes Sorge und Liebe als Störung empfunden wird, da ist der Mensch verkehrt. Es ist schön und tröstlich zu wissen, dass ein Mensch mir gut ist und sich um mich kümmert. Aber noch viel entscheidender ist, dass es den Gott gibt, Der mich kennt, mich liebt und Sich um mich sorgt. „Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich“ (Joh 10,14), betet die Kirche vor dem Evangelium mit einem Wort des Herrn. Gott kennt mich, sorgt sich um mich. Dieser Gedanke sollte uns richtig froh werden lassen. Lassen wir Ihn tief in uns eindringen. Dann begreifen wir auch, was es bedeutet: Gott will, dass wir als Priester Seine Sorgen um die Menschen an einem kleinen Punkt der Geschichte mittragen. Wir wollen als Priester Mitsorgende mit Seiner Sorge um die Menschen sein, sie dieses Sich-Kümmern Gottes praktisch erlebbar werden lassen. Und mit dem Herrn sollte der Priester für seinen ihm anvertrauten Bereich sagen können: „Ich kenne die meinen, und die meinen kennen mich.“ „Kennen“ ist im Sinne der Heiligen Schrift nie bloß ein äußeres Wissen, wie man die Telefonnummer eines Menschen kennt. „Kennen“ heißt: dem anderen innerlich nah sein. ihm gut sein. Wir sollten versuchen, die Menschen von Gott her und auf Gott hin zu „kennen“, mit ihnen den Weg der Freundschaft Gottes zu gehen.



24.06.2022

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.
ZWEITE VESPER
AM HOCHFEST DES HEILIGSTEN HERZENS JESU
ERÖFFNUNG DES PRIESTER-JAHRES
ANLÄSSLICH DES 150. TODESTAGES
DES HL. JOHANNES MARIA VIANNEY
Petersdom
Freitag, 19. Juni 2009


Liebe Brüder und Schwestern!

In der Antiphon zum Magnifikat werden wir gleich singen: »Der Herr schloss uns in Sein Herz – Suscepit nos Dominus in sinum et cor suum.« Im Alten Testament ist 26 Mal vom Herzen Gottes die Rede, das als der Sitz Seines Willens angesehen wird: nach dem Herzen Gottes wird der Mensch beurteilt. Aufgrund des Schmerzes, den Sein Herz wegen der Sünden des Menschen leidet, beschließt Gott die Sintflut, dann aber rührt Ihn die menschliche Schwäche, und Er vergibt. Dann gibt es einen alttestamentlichen Abschnitt, in dem das Thema des Herzens Gottes ganz klar Ausdruck findet: im 11. Kapitel des Buches des Propheten Hosea, wo die ersten Verse die Größe der Liebe beschreiben, mit der Sich der Herr an Israel zu Beginn seiner Geschichte gewandt hat: »Als Israel jung war, gewann Ich ihn lieb, Ich rief Meinen Sohn aus Ägypten« (V. 1). Tatsächlich antwortet Israel auf die unermüdliche göttliche Liebe mit Gleichgültigkeit und sogar Undankbarkeit. »Je mehr Ich sie rief«, muss der Herr feststellen, »desto mehr liefen sie von Mir weg« (V. 2). Dennoch gibt Er Israel nie den Händen der Feinde preis, denn »Mein Herz«, so sagt der Schöpfer des Alls, »wendet sich gegen Mich, Mein Mitleid lodert auf« (V. 8).
Das Herz Gottes lodert vor Mitleid auf! Am heutigen Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu stellt die Kirche unserer Betrachtung dieses Geheimnis anheim, das Geheimnis des Herzens eines Gottes, Der Rührung empfindet und Der die Menschheit mit all Seiner Liebe überflutet. Eine geheimnisvolle Liebe, die in den Texten des Neuen Testaments als unermessliche Leidenschaft Gottes für den Menschen geoffenbart wird. Er gibt nicht auf angesichts der Undankbarkeit und nicht einmal der Ablehnung des Volkes, das Er erwählt hat; im Gegenteil, mit unendlicher Barmherzigkeit sendet Er Seinen eingeborenen Sohn in die Welt, damit Er das Verhängnis der zerstörten Liebe auf Sich nehme; damit Er die Macht des Bösen und des Todes besiegen und so den Menschen, die von der Sünde zu Knechten gemacht worden sind, die Würde von Kindern zurückerstatten kann. All dies zu einem hohen Preis: der eingeborene Sohn des Vaters opfert Sich am Kreuz: »Da Er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies Er ihnen Seine Liebe bis zur Vollendung« (Joh 13,1). Symbol einer derartigen Liebe, die über den Tod hinausgeht, ist Seine von einer Lanze geöffnete Seite. Dazu sagt der Apostel Johannes, der Augenzeuge des Geschehens war: »Einer der Soldaten stieß mit der Lanze in Seine Seite, und sogleich floss Blut und Wasser heraus« (Joh 19,34).
Liebe Brüder und Schwestern, ich danke euch, dass ihr meiner Einladung gefolgt und zahlreich zu dieser Feier gekommen seid, mit der wir das Priester-Jahr beginnen. Ich grüße die Herren Kardinäle und die Bischöfe, insbesondere den Kardinalpräfekten und den Sekretär der Kongregation für den Klerus zusammen mit ihren Mitarbeitern sowie den Bischof von Ars. Ich grüße die Priester und die Seminaristen aus den verschiedenen Seminaren und Kollegien Roms, die Ordensmänner und die Ordensfrauen sowie alle Gläubigen. Einen besonderen Gruß richte ich an Seine Seligkeit Ignace Youssif Younan, Patriarch von Antiochien der Syrer, der nach Rom gekommen ist, um mit mir zusammenzutreffen und öffentlich die »ecclesiastica communio« zu bezeugen, die ich ihm gewährt habe.
Liebe Brüder und Schwestern, halten wir gemeinsam inne, um das durchbohrte Herz des Gekreuzigten zu betrachten. Wir haben soeben in der kurzen Lesung aus dem Brief des hl. Paulus an die Epheser gehört, dass »Gott, der voll Erbarmen ist, […] uns, die wir infolge unserer Sünden tot waren, in Seiner großen Liebe, mit der Er uns geliebt hat, zusammen mit Christus wieder lebendig gemacht [hat]. … Er hat uns mit Christus Jesus auferweckt und uns zusammen mit Ihm einen Platz im Himmel gegeben« (Eph 2,4–6). In Jesus Christus zu sein bedeutet, schon einen Platz im Himmel zu haben. Im Herzen Jesu ist der wesentliche Kern des Christentums ausgedrückt; in Christus ist uns die ganze revolutionäre Neuheit des Evangeliums offenbart und geschenkt worden: die Liebe, die uns rettet und uns schon in der Ewigkeit Gottes leben lässt. Der Evangelist Johannes schreibt: »Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass Er Seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an Ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat« (Joh 3,16). Sein göttliches Herz ruft also unser Herz; es lädt uns ein, aus uns selbst herauszugehen, unsere menschlichen Sicherheiten aufzugeben, um uns Ihm anzuvertrauen und Seinem Beispiel folgend uns selbst zu einer Gabe der vorbehaltlosen Liebe zu machen.
Es ist wahr, dass die Einladung Jesu, »in Seiner Liebe zu bleiben« (vgl. Joh 15,9), jedem Getauften gilt, doch am Fest des Heiligsten Herzens Jesu, dem Tag der Heiligung der Priester, erklingt diese Einladung für uns Priester noch eindringlicher, insbesondere an diesem Abend, dem feierlichen Beginn des Priester-Jahres, das ich anläßlich des 150. Jahrestages des Todes des hl. Pfarrers von Ars ausgerufen habe. Mir kommt sofort eine seiner schönen und bewegenden Aussagen in den Sinn, die in den Katechismus der Katholischen Kirche Eingang gefunden hat: »Das Priestertum ist die Liebe des Herzens Jesu« (Nr. 1589). Wie sollte man nicht bewegt daran erinnern, dass das Geschenk unseres priesterlichen Dienstes direkt dem Herzen Jesu entstammt? Wie könnte man vergessen, dass wir Priester geweiht worden sind, um in Demut und maßgebend dem allgemeinen Priestertum der Gläubigen zu dienen? Wir haben eine für die Kirche und die Welt unverzichtbare Sendung, die vollkommene Treue zu Christus und unablässige Einheit mit Ihm erfordert; das heißt dieses in Seiner Liebe Bleiben verlangt, dass wir ständig nach der Heiligkeit streben, nach diesem Bleiben in Ihm, wie es der hl. Jean-Marie Vianney getan hat.
Im Brief, den ich zu diesem besonderen Jubiläumsjahr an euch, liebe Brüder im priesterlichen Dienst, gerichtet habe, wollte ich einige Aspekte ins Licht stellen, die unseren Dienst auszeichnen. Dabei habe ich auf das Beispiel und auf die Lehre des hl. Pfarrers von Ars, Vorbild und Schutzpatron von uns allen, die wir Priester sind, und insbesondere der Pfarrer, Bezug genommen. Mein Schreiben möge euch Hilfe und Ermutigung sein, dieses Jahr zu einer günstigen Gelegenheit zu machen, um in der innigen Verbundenheit mit Jesus zu wachsen, Der auf uns, Seine Diener, zählt, um Sein Reich zu verbreiten und zu festigen, um Seine Liebe, Seine Wahrheit zu verbreiten. »Nach dem Beispiel des heiligen Pfarrers von Ars«, so schloss mein Schreiben, »lasst euch von Ihm vereinnahmen, dann seid in der Welt von heute auch ihr Boten der Hoffnung, der Versöhnung und des Friedens.«
Sich ganz von Christus vereinnahmen lassen! Das war für den hl. Paulus, dem wir während des nun zu Ende gehenden Paulusjahres unsere Aufmerksamkeit gewidmet haben, das Ziel seines ganzen Lebens. Dies war das Ziel des ganzen Dienstes des hl. Pfarrers von Ars, den wir besonders während des Priester-Jahres um seine Fürsprache bitten werden; dies sei auch das Hauptziel eines jeden von uns. Um Diener im Dienst des Evangeliums zu sein, ist das Studium verbunden mit einer sorgfältigen und ständigen theologischen und pastoralen Bildung gewiss nützlich und notwendig; noch notwendiger aber ist jene »Wissenschaft der Liebe«, die man nur im »Herz-an-Herz-Sein« mit Christus erlernt. Er nämlich ist es, Der uns ruft, das Brot Seiner Liebe zu brechen, die Sünden nachzulassen und die Herde in Seinem Namen zu führen. Gerade deshalb dürfen wir uns nie von der Quelle der Liebe entfernen: von Seinem am Kreuz durchbohrten Herzen.
Nur auf diese Weise werden wir fähig sein, wirksam am geheimnisvollen »Plan des Vaters« mitzuarbeiten, der darin besteht, »Christus zum Herz der Welt zu machen«! Ein Plan, der sich in der Geschichte verwirklicht, in dem Umfang, in dem Jesus das Herz der Herzen der Menschen wird, angefangen bei denen, die dazu berufen sind, ihm näher zu stehen, eben den Priestern. An diese beständige Verpflichtung ermahnen uns die »priesterlichen Versprechen«, die wir am Tag unserer Weihe abgelegt haben und jedes Jahr am Gründonnerstag in der Chrisam-Messe erneuern. Sogar unsere Mängel, unsere Grenzen und Schwächen müssen uns zum Herzen Jesu zurückführen. Wenn es nämlich wahr ist, dass die Sünder in der Betrachtung Jesu von Ihm den notwendigen »Schmerz und die Reue über die Sünden « lernen müssen, was sie zum Vater zurückführt, so gilt dies noch mehr für die geistlichen Amtsträger. Wie sollte in diesem Zusammenhang vergessen werden, dass nichts die Kirche, den Leib Christi, so sehr leiden lässt wie die Sünden ihrer Hirten, vor allem jener, die sich in »Schafsdiebe« verwandeln (Joh 10,1ff.), entweder weil sie sie mit ihren privaten Lehren vom Weg abbringen, oder weil sie sie mit Schlingen der Sünde und des Todes fesseln? Auch für uns, liebe Priester, gilt die Mahnung zur Umkehr und zur Zuflucht zur Göttlichen Barmherzigkeit, und gleichermaßen müssen wir in Demut die tiefempfundene und unablässige Bitte an das Herz Jesu richten, dass Er uns vor der schrecklichen Gefahr bewahre, jenen Schaden zuzufügen, die zu retten unsere Pflicht ist.
Vorhin konnte ich in der Chorkapelle die Reliquie des hl. Pfarrers von Ars verehren: sein Herz. Ein von göttlicher Liebe entbranntes Herz, das beim Gedanken an die Würde des Priesters ergriffen war und zu den Gläubigen mit bewegenden und erhabenen Worten sprach. Er sagte: »Nach Gott ist der Priester alles! … Erst im Himmel wird er sich selbst recht verstehen« (vgl. Schreiben zu Beginn des Priester-Jahres). Pflegen wir, liebe Brüder, dieses Angerührtsein, sowohl um unseren Dienst mit Großherzigkeit und Hingabe zu erfüllen, als auch um in der Seele eine wahre »Gottesfurcht« zu bewahren: die Furcht vor der Möglichkeit, den uns anvertrauten Seelen durch unsere Nachlässigkeit oder Schuld so viel Gutes vorzuenthalten oder ihnen – Gott bewahre uns – Schaden zuzufügen. Die Kirche braucht heilige Priester; Priester, die den Gläubigen helfen, die barmherzige Liebe des Herrn zu erfahren, und die deren überzeugte Zeugen sind. In der eucharistischen Anbetung, die der Feier der Vesper folgen wird, werden wir den Herrn bitten, dass Er das Herz eines jeden Priesters mit jener »seelsorglichen Liebe« entflamme, die fähig ist, sein persönliches »Ich« Jesus, dem Priester, anzugleichen, um Ihn in der vollständigsten Selbstschenkung nachahmen zu können. Diese Gnade erlange uns die Jungfrau Maria, deren Unbeflecktes Herz wir morgen mit lebendigem Glauben betrachten werden. Für sie hegte der hl. Pfarrer von Ars eine kindliche Verehrung, so sehr, dass er im Jahr 1836, die Verkündigung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis vorwegnehmend seine Pfarrei bereits der »ohne Sünde empfangenen« Jungfrau Maria geweiht hatte. Und er behielt die Gewohnheit bei, oft diese Weihe der Pfarrei an die heilige Jungfrau zu erneuern, wobei er die Gläubigen lehrte, dass »es genügt, sich an sie zu wenden, um erhört zu werden«, aus dem einfachen Grund, weil »sie uns vor allem glücklich sehen will«. Die heilige Jungfrau, unsere Mutter, begleite uns im Priester-Jahr, das wir heute beginnen, damit wir verlässliche und erleuchtete Führer für die Gläubigen sein können, die der Herr unserer pastoralen Sorge anvertraut. Amen!



23.06.2022

Hochfest der Geburt Johannes des Täufers




Predigt Papst Benedikt XVI.
Johannes den Täufer
Rom, 24. Juni 2007

Liebe Brüder und Schwestern!

Am heutigen 24. Juni lädt uns die Liturgie zur Feier des Hochfests der Geburt des heiligen Johannes des Täufers ein, dessen Leben – genauso wie das von Maria, der Mutter Jesu – ganz auf Christus ausgerichtet war. Johannes der Täufer ist der Vorläufer gewesen, die „Stimme“, die entsandt wurde, um das Mensch gewordene Wort anzukündigen.
Deshalb bedeutet das festliche Gedenken an seine Geburt in
Wirklichkeit, Christus zu feiern, die Erfüllung der Verheißungen aller Propheten, unter denen der Täufer der größte gewesen ist – er, der dazu berufen war, für den Messias „den Weg zu bahnen“ (vgl. Mt 11,9-10).
Alle Evangelien beginnen die Erzählung des öffentlichen Lebens Jesu mit dem Bericht über seine Taufe am Fluss Jordan durch Johannes. Der heilige Lukas fügt den Auftritt des Täufers in einen feierlichen historischen Rahmen ein. Auch mein Buch Jesus von Nazareth hebt mit der Taufe Jesu am Jordan an, einem Ereignis, das zu seiner Zeit ein großes Echo hatte.
Von Jerusalem und aus allen Teilen Judäas strömten die Menschen herbei, um Johannes den Täufer zu hören, sich von ihm im Fluss taufen zu lassen und dabei ihre Sünden zu bekennen (vgl. Mk 1,5). Der Ruf des
Propheten und Täufers wuchs in einem Maß an, dass viele sich fragten, ob er der Messias sei. Er aber – so hebt der Evangelist hervor – leugnete dies entschieden: „Ich bin nicht der Messias“ (Joh 1,20). Er bleibt auf jeden Fall der ersten „Zeuge“ Jesu, da er den Hinweis auf Ihn vom Himmel erhalten hat: „Auf wen du den Geist herabkommen siehst
und auf wem Er bleibt, Der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft“ (Joh 1,33). Genau dies geschah, als Jesus nach dem Empfang der Taufe aus dem Wasser stieg: Johannes sah den Geist wie eine Taube auf ihn herabkommen. Da „erkannte“ er die volle Wirklichkeit des Jesus von Nazareth und begann, „Israel mit ihm bekannt zu machen“ (Joh 1,31);
er wies ihn als Sohn Gottes und Erlöser der Menschen aus:
„Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg
nimmt“ (Joh 1,29).
Als echter Prophet gab Johannes ohne Kompromisse Zeugnis von der Wahrheit. Er klagte die Überschreitungen der Gebote Gottes auch dann an, wenn die Betroffenen die Mächtigen waren. So bezahlte er mit dem Leben, als er Herodes und Herodias des Ehebruchs anklagte, und mit dem Martyrium besiegelte er seinen Dienst an Christus, der die Wahrheit in Person ist. Wir wollen ihn und die allerseligste Jungfrau Maria um ihre Fürsprache bitten, damit es die Kirche auch in unseren Tagen verstehen möge, Christus immer treu zu bleiben und voller Mut Seine Wahrheit und Seine Liebe für alle zu bezeugen.


16.06.2022

Fronleichnam – Hochfest des Leibes und Blutes Christi




PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI.
Fest Fronleichnam
Basilika St. Johann im Lateran
Donnerstag, 23. Juni 2011

Liebe Brüder und Schwestern!

Das Hochfest des Leibes und Blutes Christi ist untrennbar mit dem Gründonnerstag, mit der Messe »in Caena Domini«, verbunden, in der die Einsetzung der Eucharistie gefeiert wird. Während am Abend des Gründonnerstags das Geheimnis Christi, der sich uns im gebrochenen Brot und im vergossenen Wein darbringt, wieder lebendig wird, wird eben dieses Geheimnis heute, am Fronleichnamsfest, zur Anbetung und Meditation des Gottesvolkes dargeboten, und das Allerheiligste Sakrament wird in Prozession durch die Straßen der Städte und Dörfer getragen, um zu bekunden, dass der auferstandene Christus mit uns auf dem Weg ist und uns zum Himmelreich führt. Was uns Jesus in der Vertraulichkeit des Abendmahlssaales geschenkt hat, bringen wir heute öffentlich zum Ausdruck, da die Liebe Christi nicht einigen wenigen vorbehalten, sondern für alle bestimmt ist. In der Abendmahlsmesse am vergangenen Gründonnerstag habe ich hervorgehoben, dass sich in der Eucharistie die Verwandlung der Gaben dieser Erde – Brot und Wein – vollzieht, mit dem Ziel, unser Leben zu verwandeln und so die Verwandlung der Welt zu eröffnen. Diesen Gedanken möchte ich heute Abend wieder aufgreifen.
Alles nimmt – so könnte man sagen – seinen Anfang beim Herzen Christi, Der beim Letzten Abendmahl, am Vorabend Seines Leidens, Gott gedankt und ihn gepriesen hat und so durch die Macht Seiner Liebe den Sinn des Todes, dem er entgegenging, verwandelt hat. Die Tatsache, dass das Altarsakrament den Namen »Eucharistie« – »Danksagung« – erhalten hat, bringt genau dies zum Ausdruck: Die Verwandlung der Substanz von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi ist Frucht der Selbsthingabe Christi, Geschenk einer Liebe, die stärker ist als der Tod, der göttlichen Liebe, die ihn von den Toten auferstehen ließ. Und deshalb ist die Eucharistie Speise des ewigen Lebens, Brot des Lebens. Aus dem Herzen Christi, aus seinem »eucharistischen Gebet« am Abend vor seinem Leiden und Sterben, entspringt jene dynamische Kraft, die die Wirklichkeit in allen ihren Dimensionen – kosmisch, menschlich und geschichtlich – verwandelt.
Alles geht von Gott, von der Allmacht Seiner dreieinigen Liebe aus, die in Jesus Fleisch geworden ist. In diese Liebe wird das Herz Christi hineingenommen; darum kann er auch angesichts des Verrats und der Gewalt Gott danken und ihn preisen und verwandelt auf diese Weise die Dinge, die Menschen und die Welt. Diese Verwandlung ist möglich dank einer Verbundenheit, einer Communio, die stärker ist als die Trennung, die Gemeinschaft Gottes selbst. Das Wort »Kommunion«, das wir auch zur Bezeichnung der Eucharistie gebrauchen, fasst in sich die vertikale und die horizontale Dimension der Hingabe Christi zusammen. Schön und vielsagend ist der Ausdruck »die Kommunion empfangen«, der sich auf den Akt des Essens des eucharistischen Brotes bezieht. Wenn wir diese Handlung vollziehen, treten wir tatsächlich mit dem Leben Jesu selbst in Gemeinschaft, in die Dynamik dieses Lebens ein, das sich uns und für uns hingibt. Von Gott durch Jesus bis zu uns: eine einzigartige Gemeinschaft, Communio, wird in der heiligen Eucharistie vermittelt. Das haben wir vorhin in der zweiten Lesung in den Worten des Apostels Paulus gehört, die er an die Christen von Korinth gerichtet hat: »Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Segen Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi?« (1 Kor 10,16–17).
Der hl. Augustinus hilft uns, die Dynamik der eucharistischen Gemeinschaft zu verstehen, wenn er sich auf eine Art Vision bezieht, die er hatte und in der Jesus zu ihm sagte: »Ich bin die Speise der Starken. Wachse, und so wirst du Mich haben. Du wirst nicht Mich in dich verwandeln, als Speise des Leibes, sondern du wirst es sein, der in Mich verwandelt werden wird« (Bekenntnisse VII,10,18). Während also die leibliche Speise von unserem Organismus aufgenommen wird und zu seiner Erhaltung beiträgt, handelt es sich im Fall der Eucharistie um ein anderes Brot: Nicht wir nehmen es in uns auf, sondern es nimmt uns [in sich] auf, so dass wir Jesus Christus gleichgestaltet, Glieder Seines Leibes, eins mit Ihm werden. Dieser Übergang ist entscheidend. In der Tat, da es eben Christus ist, Der in der eucharistischen Kommunion uns in Sich verwandelt, wird in dieser Begegnung unsere Individualität offen, befreit von ihrem Egozentrismus und in die Person Jesu eingebunden, die ihrerseits in die trinitarische Gemeinschaft eingesenkt ist. Während uns also die Eucharistie mit Christus verbindet, öffnet sie uns auch gegenüber den anderen, macht uns gegenseitig zu Gliedern: Wir sind nicht mehr getrennt, sondern eins in Ihm. Die eucharistische Gemeinschaft verbindet mich mit dem Menschen neben mir, auch mit einem, zu dem ich vielleicht kein gutes Verhältnis habe, aber auch mit den fernen Brüdern überall auf der Welt. Von hier, von der Eucharistie, geht also das tiefe Bewusstsein für die soziale Präsenz der Kirche aus, wie die großen Sozialheiligen bezeugen, die immer große eucharistische Menschen gewesen sind. Wer in der heiligen Hostie Jesus erkennt, der erkennt Ihn im leidenden Bruder, der Hunger und Durst hat, der fremd, nackt, krank, im Gefängnis ist; und er achtet auf jeden Menschen, setzt sich konkret für alle ein, die in Not sind. Aus dem Geschenk der Liebe Christi erwächst daher unsere besondere Verantwortung als Christen beim Aufbau einer solidarischen, gerechten, brüderlichen Gesellschaft. Besonders in unserer Zeit, in der die Globalisierung uns immer abhängiger voneinander macht, kann und muss das Christentum bewirken, dass diese Einheit nicht ohne Gott, das heißt nicht ohne die wahre Liebe, errichtet wird; andernfalls würde sich das Chaos, der Individualismus, die Unterdrückung aller gegen alle ausbreiten. Das Evangelium zielt seit jeher auf die Einheit der Menschheitsfamilie ab, eine Einheit, die nicht von außen, weder von ideologischen noch wirtschaftlichen Interessen auferlegt wird, sondern vom gegenseitigen Verantwortungsgefühl, weil wir uns als Glieder ein und desselben Leibes, des Leibes Christi anerkennen, weil wir vom Altarsakrament gelernt haben und ständig lernen, dass das Teilen, die Liebe der Weg der wahren Gerechtigkeit ist.
Kehren wir nun zu der von Jesus beim Letzten Abendmahl vollzogenen Handlung zurück. Was ist in jenem Augenblick geschehen? Was geschah, als Er sagte: Das ist Mein Leib, der für euch hingegeben wird, das ist Mein Blut, vergossen für euch und für viele? Jesus nimmt in jener Geste das Geschehen von Golgota vorweg. Aus Liebe nimmt Er die ganze Passion mit ihrem Verrat und ihrer Gewalt bis zum Tod am Kreuz auf Sich; durch dieses Annehmen verwandelt Er sie in einen Akt der Hingabe. Das ist die Umwandlung, die die Welt nötig hat, denn sie erlöst sie von innen heraus, öffnet sie für die Dimensionen des Himmelreiches. Aber diese Erneuerung der Welt will Gott immer durch denselben Weg verwirklichen, den Christus gegangen ist, durch jenen Weg, der Er selbst ist. Im Christentum ist nichts Magisches am Werk. Es gibt keine schnellen Abkürzungen, sondern alles verläuft durch die bescheidene und geduldige Logik des Weizenkornes, das zerbricht, um das Leben zu schenken, durch die Logik des Glaubens, der mit der sanften Kraft Gottes Berge versetzt. Deshalb will Gott die Menschheit, die Geschichte und den Kosmos immer wieder erneuern durch diese Kette der Verwandlungen, deren Sakrament die Eucharistie darstellt. Durch das gesegnete Brot und den gesegneten Wein, in denen Sein Leib und Sein Blut tatsächlich gegenwärtig sind, verwandelt Christus uns, indem Er uns in Sich aufnimmt: Er bezieht uns in Sein Erlösungswerk ein, indem Er uns durch die Gnade des Heiligen Geistes dazu fähig macht, nach Seiner eigenen Logik des Schenkens zu leben, wie Weizenkörner, die in Ihm und mit Ihm vereint sind. So werden in die Ackerfurchen der Geschichte die Einheit und der Friede ausgesät und zur Reife gebracht, die nach Gottes Plan das Ziel sind, nach dem wir streben. Ohne Illusionen, ohne ideologische Utopien gehen wir durch die Straßen der Welt, während wir in uns den Leib des Herrn tragen, wie die Jungfrau Maria im Geheimnis der Heimsuchung.
Mit der Bescheidenheit des Bewusstseins, einfache Weizenkörner zu sein, hüten wir die feste Gewissheit, dass die Fleisch gewordene Liebe Gottes größer ist als das Böse, die Gewalt und der Tod. Wir wissen, dass Gott für alle Menschen einen neuen Himmel und eine neue Erde vorbereitet, in denen Friede und Gerechtigkeit herrschen, und im Glauben erblicken wir bereits die neue Welt, die unsere wahre Heimat ist. Auch heute Abend, während die Sonne über unserer geliebten Stadt Rom untergeht, machen wir uns auf den Weg: Mit uns ist der Eucharistische Jesus, der Auferstandene, der gesagt hat: »Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,20). Danke, Herr Jesus! Danke für deine Treue, die unsere Hoffnung unterstützt. Bleibe bei uns, denn es wird Abend. »Guter Hirt, du wahre Speise, / Jesus, gnädig dich erweise! Nähre uns auf deinen Auen, / lass uns deine Wonnen schauen / in des Lebens ewigem Reich!« Amen.




05.06.2022

Pfingsten




PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI.
zum Pfingstfest
Vatikanische Basilika
Sonntag, 12. Juni 2011


Liebe Brüder und Schwestern!

Wir feiern heute das bedeutende Hochfest Pfingsten. Wenn in einem gewissen Sinn alle liturgischen Hochfeste der Kirche bedeutend sind, so ist es Pfingsten in einer einzigartigen Weise, da es am fünfzigsten Tag die Erfüllung des Paschaereignisses, des Todes und der Auferstehung Jesu, des Herrn, durch die Gabe des Geistes des Auferstandenen bezeichnet. Auf Pfingsten hat uns die Kirche in den vergangenen Tagen mit ihrem Gebet vorbereitet, mit der wiederholten und innigen Anrufung Gottes, um eine neue Ausgießung des Heiligen Geistes über uns zu erlangen. Die Kirche hat so erneut erlebt, was an ihren Anfängen geschehen ist, als die im Abendmahlssaal von Jerusalem versammelten Apostel »dort einmütig im Gebet [verharrten], zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit Seinen Brüdern« (Apg 1,14). Sie waren in demütiger und vertrauensvoller Erwartung versammelt, dass sich die ihnen von Jesus mitgeteilte Verheißung des Vaters erfülle: »Ihr aber werdet schon in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft […] ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird« (Apg 1,5.8).
In der Pfingstliturgie entspricht dem Bericht der Apostelgeschichte über das Entstehen der Kirche (vgl. Apg 2,1–11) der Psalm 104, den wir gehört haben: ein Lobpreis der ganzen Schöpfung, die dem Schöpfergeist huldigt, der alles mit Weisheit gemacht hat: »Herr, wie zahlreich sind Deine Werke! Mit Weisheit hast Du sie alle gemacht, die Erde ist voll von Deinen Geschöpfen … Ewig währe die Herrlichkeit des Herrn; der Herr freue sich Seiner Werke« (Ps 104,24.31). Was uns die Kirche sagen will, ist folgendes: Der Geist, Schöpfer aller Dinge, und der Heilige Geist, den Christus vom Vater auf die Gemeinde der Jünger herabsteigen hat lassen, sind ein und derselbe: Schöpfung und Erlösung gehören zueinander und bilden in der Tiefe ein einziges Geheimnis der Liebe und des Heils. Der Heilige Geist ist vor allem Schöpfergeist, und somit ist Pfingsten auch ein Fest der Schöpfung. Für uns Christen ist die Welt Frucht einer Liebestat Gottes, Der alles gemacht hat und Sich darüber freut, da es »gut«, »sehr gut« ist, wie der Schöpfungsbericht sagt (Gen 1,1–31). Daher ist Gott nicht der ganz Andere, unnennbar und geheimnisvoll. Gott offenbart Sich, Er hat ein Antlitz, Gott ist Vernunft, Gott ist Wille, Gott ist Liebe, Gott ist Schönheit. Der Glaube an den Schöpfergeist und der Glaube an den Geist, Den der auferstandene Christus den Aposteln geschenkt hat und einem jeden von uns schenkt, sind untrennbar ineinander verschränkt.
Die zweite Lesung und das Evangelium von heute zeigen uns diese Verbindung. Der Heilige Geist ist es, Der uns in Christus den Herrn erkennen lässt, und Er lässt uns das Glaubensbekenntnis der Kirche sprechen: »Jesus ist der Herr« (vgl. 1 Kor 12,3b). »Herr« ist der Gott im Alten Testament gegebene Titel, ein Titel, der in der Lesung der Bibel den Platz seines unaussprechlichen Namen einnahm. Das Credo der Kirche ist nichts anderes als die Entfaltung dessen, was mit diesem einfachen Satz gesagt wird: »Jesus ist der Herr.« Von diesem Glaubensbekenntnis sagt uns der hl. Paulus, dass es sich gerade um das Wort und das Werk des Heiligen Geistes handele. Wenn wir im Geist sein wollen, so müssen wir diesem Credo zustimmen. Indem wir es uns zu eigen machen, indem wir es als unser Wort annehmen, haben wir Zugang zum Wirken des Heiligen Geistes.
Der Ausdruck »Jesus ist der Herr« kann in seinem zweifachen Sinn gelesen werden. Er bedeutet: Jesus ist Gott, und zugleich: Gott ist Jesus. Der Heilige Geist erhellt diese Gegenseitigkeit: Jesus besitzt göttliche Würde, und Gott hat das menschliche Antlitz Jesu. Gott zeigt Sich in Jesus und schenkt uns damit die Wahrheit über uns selbst. Sich in der Tiefe von diesem Wort erleuchten zu lassen ist das Pfingstereignis. Wenn wir das Credo beten, treten wir in das Geheimnis des ersten Pfingsten ein: gegenüber der Unordnung Babels, gegenüber jenen Stimmen, die sich gegenseitig anschreien, vollzieht sich eine radikale Verwandlung: die Vielfalt wird zu einer vielgestaltigen Einheit, der einenden Macht der Wahrheit entwächst das Verstehen. Im Credo, das uns auf der ganzen Erde vereint, das es durch den Heiligen Geist möglich macht, dass man sich durch den Glauben, die Hoffnung und die Liebe auch in der Verschiedenheit der Sprachen versteht, bildet sich die neue Gemeinschaft der Kirche Gottes.
Der Abschnitt aus dem Evangelium bietet uns dann ein wunderbares Bild, um die Verbindung zwischen Jesus, dem Heiligen Geist und dem Vater zu erhellen: der Heilige Geist wird als der Hauch des auferstandenen Jesus Christus dargestellt (vgl. Joh 20,22). Der Evangelist Johannes nimmt hier ein Bild des Schöpfungsberichtes auf, wo es heißt, dass Gott in die Nase des Menschen den Lebensatem blies (vgl. Gen 2,7). Der Hauch Gottes ist Leben. Nun haucht der Herr in unsere Seele den neuen Lebensatem, den Heiligen Geist, Sein innerstes Wesen, und auf diese Weise nimmt Er uns in die Familie Gottes auf. Mit der Taufe und der Firmung hat Er uns dieses Geschenk in einer spezifischen Weise gemacht, und mit den Sakramenten der Eucharistie und der Buße wiederholt es sich ständig: der Herr haucht in unsere Seele einen Lebensatem. Alle Sakramente, jedes auf seine Weise, teilen dem Menschen dank des Heiligen Geistes, Der in ihnen wirkt, das göttliche Leben mit.
In der heutigen Liturgie nehmen wir noch eine weitere Verbindung wahr. Der Heilige Geist ist Schöpfer, Er ist gleichzeitig Geist Jesu Christi, derart jedoch, dass der Vater, der Sohn und der Heilige Geist einer und ein einziger Gott sind. Und im Licht der ersten Lesung können wir hinzufügen: der Heilige Geist beseelt die Kirche. Sie entstammt nicht dem menschlichen Willen, dem Nachdenken, der Geschicktheit des Menschen oder seiner organisatorischen Fähigkeit, denn wäre dem so, so wäre sie schon seit langem untergegangen, wie alles Menschliche vergeht. Die Kirche ist vielmehr der vom Heiligen Geist beseelte Leib Christi. Die Bilder des Sturmes und des Feuers, die der hl. Lukas benutzt, um das Kommen des Heiligen Geistes darzustellen (vgl. Apg 2,2–3), erinnern an den Sinai, wo Gott Sich dem Volk Israel offenbart und ihm den Bund mit Ihm gewährt hatte. »Der ganze Sinai war in Rauch gehüllt«, so lesen wir im Buch Exodus, »denn der Herr war im Feuer auf ihn herabgestiegen « (19,18). Tatsächlich feierte Israel den fünfzigsten Tag nach dem Paschafest, nach dem Gedenken der Flucht aus Ägypten, als das Fest des Sinai, das Fest des Bundes. Wenn der hl. Lukas von Feuerzungen spricht, um den Heiligen Geist darzustellen, wird damit jenes alte Bündnis in Erinnerung gerufen, das auf der Grundlage des von Israel auf dem Sinai empfangenen Gesetzes besiegelt worden war. So wird das Pfingstereignis als ein neuer Sinai dargestellt, als die Gabe eines neuen Bündnisses, in dem der Bund mit Israel auf alle Völker der Erde ausgeweitet wird, in dem alle Beschränkungen des alten Gesetzes fallen und dessen heiligstes und unveränderliches Herz zutage tritt, das heißt die Liebe, die gerade der Heilige Geist mitteilt und ausgießt, die Liebe, die alle Dinge umfasst. Gleichzeitig wird das Gesetz weiter, es öffnet sich und wird dabei dennoch einfacher: Es ist das neue Bündnis, das der Heilige Geist in die Herzen all derer einschreibt, die an Christus glauben. Die Ausweitung des Bündnisses auf alle Völker der Erde wird vom hl. Lukas durch eine für jenes Zeitalter beachtenswerte Aufzählung von Völkern dargestellt (vgl. Apg 2,9–11).
Damit wird uns etwas sehr Wichtiges gesagt: dass die Kirche vom ersten Augenblick an katholisch ist, dass ihre Universalität nicht das Ergebnis einer späteren Aufnahme verschiedener Gemeinschaften ist. Vom ersten Augenblick an hat sie nämlich der Heilige Geist als Kirche aller Völker geschaffen; sie umfasst die ganze Welt, sie überwindet die Grenzen von Rasse, Klasse und Nation; sie reißt alle Schranken nieder und vereint die Menschen im Bekenntnis des einen und dreifaltigen Gottes. Von Anbeginn ist die Kirche die eine, katholische und apostolische Kirche: dies ist ihr wahres Wesen und als solche muss sie anerkannt werden. Sie ist nicht dank der Fähigkeiten ihrer Glieder heilig, sondern weil Gott Selbst sie mit Seinem Geist schafft, reinigt und immer heiligt. Schließlich schenkt uns das heutige Evangelium diesen wunderschönen Ausdruck: »Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen« (Joh 20,20). Diese Worte sind zutiefst menschlich. Der verlorene Freund ist wieder gegenwärtig, und wer vorher fassungslos war, freut sich nun. Doch er besagt viel mehr. Denn der verlorene Freund kommt nicht von irgendwo her, sondern aus der Nacht des Todes; und Er hat sie durchschritten! Er ist nicht irgendeiner, sondern Er ist der Freund und zugleich Jener, Der die Wahrheit ist, die die Menschen leben lässt; und was Er schenkt, ist nicht irgendeine Freude, sondern die Freude schlechthin, Gabe des Heiligen Geistes. Ja, es ist schön zu leben, da ich geliebt bin, und es ist die Wahrheit, die mich liebt. Die Jünger freuten sich, dass sie den Herrn sahen. Heute, am Pfingstfest, gelten diese Worte auch uns, da wir Ihn im Glauben sehen können; im Glauben kommt Er unter uns und zeigt auch uns die Hände und die Seite, und wir freuen uns darüber. Daher wollen wir beten: Herr, zeige Dich! Schenke uns Deine Gegenwart, und so werden wir das schönste Geschenk haben: deine Freude. Amen!



26.05.2022

Christi Himmelfahrt




PREDIGT VON BENEDIKT XVI.
Fest Christi Himmelfahrt
Cassino, Piazza Miranda
Sonntag, 24. Mai 2009

Liebe Brüder und Schwestern!

»Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, Der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet Meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde« (Apg 1,8). Mit diesen Worten verabschiedet sich Jesus von den Aposteln, wie wir in der ersten Lesung gehört haben. Unmittelbar darauf fügt der biblische Autor hinzu: »Als Er das gesagt hatte, wurde Er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm Ihn auf und entzog Ihn ihren Blicken« (Apg 1,9). Das ist das Geheimnis von Christi Himmelfahrt, das wir heute feierlich begehen. Was aber wollen uns die Bibel und die Liturgie mitteilen, wenn es heißt, dass Jesus »emporgehoben« wurde? Der Sinn dieses Ausdrucks ist nicht allein einem einzigen Textabschnitt zu entnehmen, ebenso wenig einem einzigen Buch des Neuen Testaments, sondern einem aufmerksamen Hören auf die Heilige Schrift insgesamt. Der Gebrauch des Verbums »emporheben« stammt nämlich aus dem Alten Testament und ist auf die Einsetzung in die Königswürde bezogen. Die Himmelfahrt Christi bedeutet also an erster Stelle die Einsetzung des gekreuzigten und auferstandenen Menschensohnes in das Königtum Gottes über die Welt.
Es gibt allerdings einen tieferen, nicht unmittelbar wahrnehmbaren Sinn. In der Apostelgeschichte heißt es zunächst, dass Jesus »emporgehoben« wurde (V. 9), und unmittelbar folgend wird hinzugefügt, daß er »aufgenommen wurde« (V. 11). Das Ereignis ist nicht so beschrieben, als handle es sich um eine Reise in die Höhe, sondern als ein Wirken der Kraft Gottes, die Jesus in den Raum der göttlichen Nähe einführt. Die Gegenwart der Wolke, die »Ihn ihren Blicken entzog « (V. 9), bezieht sich auf ein sehr altes Bild der alttestamentlichen Theologie und fügt den Bericht über die Himmelfahrt in die Geschichte Gottes mit Israel ein, von der Wolke des Sinai und über dem Bundeszelt in der Wüste bis hin zur leuchtenden Wolke auf dem Berg der Verklärung. Dadurch, dass der Herr in die Wolke gehüllt dargestellt wird, wird schließlich auf dasselbe Geheimnis Bezug genommen, das auch im Symbol des »zur Rechten Gottes Sitzens« zum Ausdruck gebracht wird. Im zum Himmel aufgefahrenen Christus ist der Mensch in einer unerhörten und neuen Weise in die Vertrautheit mit Gott eingetreten, der Mensch findet nunmehr für immer Raum in Gott. Der »Himmel« verweist auf keinen Ort über den Sternen, sondern auf etwas viel Kühneres und Erhabeneres: Er verweist auf Christus selbst, die göttliche Person, die voll und für immer das Menschsein in Sich aufnimmt, auf Ihn, in dem Gott und Mensch für immer untrennbar vereint sind. Und wir nähern uns dem Himmel, ja wir treten in den Himmel in dem Maß ein, in dem wir uns Jesus nähern und in Gemeinschaft mit Ihm treten. Das heutige Hochfest Christi Himmelfahrt lädt uns daher zu einer tiefen Gemeinschaft mit dem gestorbenen und auferstandenen Jesus ein, der unsichtbar im Leben eines jeden von uns gegenwärtig ist.
Aus dieser Perspektive begreifen wir, warum der Evangelist Lukas sagt, dass die Jünger nach der Himmelfahrt »in großer Freude« nach Jerusalem zurückkehrten (24,52). Der Grund ihrer Freude besteht in der Tatsache, dass das, was sich ereignet hatte, in Wahrheit keine Trennung war: im Gegenteil, sie hatten nunmehr die Gewissheit, dass der Gekreuzigte und Auferstandene lebendig war und in Ihm der Menschheit für immer die Türen zum ewigen Leben geöffnet worden sind. Mit anderen Worten brachte Seine Himmelfahrt nicht Seine vorübergehende Abwesenheit von der Welt mit sich, sondern leitete vielmehr die neue, endgültige und unzerstörbare Form Seiner Gegenwart ein, dies aufgrund Seiner Teilhabe an der königlichen Macht Gottes. Gerade ihnen, den Jüngern, ermutigt durch die Kraft des Heiligen Geistes, wird es zukommen, Seine Gegenwart durch das Zeugnis, die Verkündigung und den missionarischen Einsatz wahrnehmbar zu machen. Das Hochfest der Himmelfahrt des Herrn sollte auch uns mit Freude und Begeisterung erfüllen, gerade wie es den Aposteln geschah, die vom Ölberg »in großer Freude« aufbrachen. Wie sie sollen auch wir die Einladung der »zwei Männer in weißen Gewändern« annehmen und nicht dastehen und zum Himmel emporschauen; unter der Leitung des Heiligen Geistes müssen wir vielmehr überall hingehen und die heilbringende Botschaft vom Tod und von der Auferstehung Christi verkünden. Es begleiten uns und gereichen uns zum Trost dessen eigene Worte, mit denen das Evangelium nach Matthäus schließt: »Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,20).
Liebe Brüder und Schwestern, der historische Charakter der Auferstehung und Himmelfahrt Christi hilft uns, das transzendente und eschatologische Sein der Kirche zu erkennen und zu begreifen; sie ist nicht entstanden und sie lebt nicht, um ein Ersatz für die Abwesenheit ihres »entschwundenen « Herrn zu sein, sondern sie findet vielmehr den Grund ihres Seins und ihrer Sendung in der unsichtbaren Gegenwart Jesu, der mit der Macht Seines Geistes wirkt. Mit anderen Worten könnten wir sagen, dass die Kirche nicht die Aufgabe erfüllt, die Wiederkehr eines »abwesenden« Jesus vorzubereiten; sie lebt und wirkt dagegen vielmehr, um Seine »glorreiche Gegenwart « auf eine geschichtliche und existentielle Weise zu verkünden. Seit dem Tag der Himmelfahrt schreitet jede christliche Gemeinde auf ihrem irdischen Weg hin zur Erfüllung der messianischen Verheißungen, genährt vom Wort Gottes und gespeist vom Leib und Blut ihres Herrn. Das ist das Sein der Kirche – so erinnert das II. Vatikanische Konzil –, während sie »zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg [dahinschreitet] und […] das Kreuz und den Tod des Herrn [verkündet], bis er wiederkommt« (Lumen gentium, 8).





17.04.2022

Ostern

Der Herr ist auferstanden!
Er ist wahrhaftig auferstanden!
Halleluja!





PREDIGT VON BENEDIKT XVI.
Ostersonntag
12. April 2009

Liebe Brüder und Schwestern!

„Als unser Paschalamm ist Christus geopfert worden!“ (1 Kor 5, 7). So erschallt an diesem Tag der Ruf des heiligen Paulus, den wir in der zweiten Lesung gehört haben, die aus dem Ersten Korintherbrief entnommen ist. Es ist ein Text, der kaum zwanzig Jahre nach dem Tod und der Auferstehung Jesu entstanden ist und der doch – in der für gewisse paulinische Aussagen typischen Weise – in einer eindrucksvollen Synthese bereits das volle Bewusstsein des christlich Neuen enthält. Das zentrale Symbol der Heilsgeschichte – das Paschalamm – ist hier mit Jesus identifiziert, Der eben als „unser Paschalamm“ bezeichnet wird. Das jüdische Pascha, das Gedächtnis der Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens, sah in jedem Jahr den Ritus der Opferung der Lämmer vor, ein Lamm pro Familie, nach dem mosaischen Gesetz. In Seinem Leiden und Sterben offenbart Sich Jesus als das Lamm Gottes, das am Kreuz „geopfert“ wird, um die Sünden der Welt hinweg zu nehmen. Er wurde genau in der Stunde getötet, in der gewöhnlich die Lämmer im Tempel von Jerusalem geopfert wurden. Den Sinn dieses Seines Opfers hatte Er Selbst während des Letzten Abendmahls vorweggenommen, indem Er an Stelle der rituellen Speise und des rituellen Tranks des jüdischen Pascha-Mahles Sich Selber – unter den Zeichen von Brot und Wein – darbot. So können wir wirklich sagen, dass Jesus die Tradition des alten Pascha zur Vollendung geführt und es in Sein eigenes Pascha verwandelt hat.
Von dieser neuen Bedeutung des Paschafestes her versteht man dann auch die Interpretation des „ungesäuerten Brotes“, die der heilige Paulus gibt. Der Apostel bezieht sich auf einen alten jüdischen Brauch, nach dem zum Paschafest jeder auch noch so kleine Rest gesäuerten Brotes aus dem Haus zu entfernen war. Das war einerseits eine Erinnerung an das, was den Vorfahren bei ihrer Flucht aus Ägypten passiert war: Als sie eilig das Land verließen, hatten sie nur ungesäuerte Brotfladen mitgenommen. Zugleich war aber das „ungesäuerte Brot“ ein Symbol der Reinigung: das Alte wegschaffen, um dem Neuen Platz zu machen. Nun bekommt auch diese alte Tradition einen neuen Sinn, erklärt der heilige Paulus, nämlich vom neuen „Exodus“ her, vom Übergang Jesu aus dem Tod in das ewige Leben. Und da Christus Sich als das wahre Lamm für uns geopfert hat, können und müssen auch wir, Seine Jünger, – dank Ihm und durch Ihn – „neuer Teig“ sein, „ungesäuertes Brot“, das von allen Überbleibseln des alten Ferments der Sünde befreit ist: keine Bosheit und Schlechtigkeit mehr in unserem Herzen!
„Lasst uns also das Fest … mit den ungesäuerten Broten der Aufrichtigkeit und Wahrheit feiern.“ Dieser Aufruf des heiligen Paulus, der die kurze, eben vorgetragene Lesung beschließt, klingt im Rahmen des Paulusjahres noch stärker. Liebe Brüder und Schwestern, nehmen wir die Aufforderung des Apostels an, öffnen wir dem gestorbenen und auferstandenen Christus unser Inneres, damit Er uns erneuert, damit Er das Gift der Sünde und des Todes aus unserem Herzen wegschafft und Ihm den Lebenssaft des Heiligen Geistes eingießt: das göttliche und ewige Leben. In der Ostersequenz haben wir gleichsam als Antwort auf die Worte des Apostels gesungen: „Scimus Christum surrexisse a mortuis vere – wir wissen, dass Christus wirklich von den Toten auferstanden ist.“ Ja! Genau das ist das grundlegende Herzstück unseres Glaubensbekenntnisses; das ist der Siegesruf, der uns alle heute vereint. Und wenn Jesus auferstanden ist, wenn Er also lebt, wer kann uns dann von Ihm scheiden? Wer kann uns Seine Liebe entziehen, die den Hass überwunden und den Tod besiegt hat?
Die Osterbotschaft breitet sich mit dem freudigen Gesang des Halleluja über die Welt aus. Singen wir es mit den Lippen, singen wir es vor allem mit dem Herzen und mit dem Leben, mit einer „ungesäuerten“, das heißt einfachen, demütigen Lebensweise, die fruchtbar ist an guten Werken. „Surrexit Christus spes mea: / precedet vos in Galileam – Christus, meine Hoffnung, ist auferstanden und geht euch voraus nach Galiläa.“ Der Auferstandene geht uns voraus und begleitet uns auf den Straßen der Welt. Er ist unsere Hoffnung, Er ist der wahre Friede der Welt. Amen!



15.04.2022

Karfreitag




WORTE VON PAPST BENEDIKT XVI.
Karfreitag
Nach dem Kreuzweg am Kolosseum
2. April 2010

Liebe Brüder und Schwestern!

Betend, innerlich gesammelt und ergriffen, sind wir heute abend den Weg des Kreuzes gegangen. Mit Jesus sind wir den Kalvarienberg hinaufgestiegen, haben über sein Leiden nachgedacht und dabei wieder entdeckt, wie groß seine Liebe ist, die Er für uns hatte und hat. Aber in diesem Augenblick wollen wir uns nicht auf unser schwaches, rein gefühlsbedingtes Mitleid beschränken; vielmehr wollen wir verspüren, wie wir am Leid Jesu teilnehmen, wollen wir unseren Meister begleiten, indem wir sein Leiden in unserem Leben, im Leben der Kirche, für das Leben der Welt teilen, da wir wissen, dass gerade im Kreuz des Herrn, in der grenzenlosen Liebe, die sich selbst ganz verschenkt, die Quelle der Gnade, der Freiheit, des Friedens, des Heils ist.
Die Texte, die Betrachtungen und die Gebete des Kreuzwegs haben uns geholfen, auf dieses Geheimnis des Leidens zu schauen. Dabei wollen wir die große Lektion der Liebe lernen, die

Gott uns am Kreuz gegeben hat, damit in uns neu das Verlangen nach der Bekehrung des Herzens ersteht und wir jeden Tag die gleiche Liebe leben, die einzige Kraft, die die Welt ändern kann.
Heute Abend haben wir Jesus in seinem schmerzverzerrten, verspotteten, verhöhnten, von der Sünde des Menschen entstellten Antlitz betrachtet; morgen Nacht werden wir ihn in seinem freudevollen, strahlenden und leuchtenden Antlitz sehen. Seit Jesus in das Grab hinabgestiegen ist, sind Grab und Tod nicht mehr Orte ohne Hoffnung, wo die Geschichte in völligem Scheitern endet, wo der Mensch die äußerste Grenze seiner Ohnmacht berührt. Der Karfreitag ist der Tag größerer Hoffnung, die am Kreuz gereift ist, während Jesus stirbt, seinen letzten Atem aushaucht und laut ruft: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46). Da er sein „geschenktes“ Dasein in die Hände des Vaters legt, weiß er, dass sein Tod zur Quelle des Lebens wird, wie das Samenkorn in der Erde aufbrechen muss, damit die Pflanze hervorgehen kann: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“ (Joh 12,24). Jesus ist das Weizenkorn, das in die Erde fällt, aufgerissen wird, aufbricht, stirbt und deswegen Frucht bringen kann. Seit dem Tag, an dem Christus am Kreuz erhöht wurde, ist das Kreuz – scheinbar Zeichen der Verlassenheit, der Einsamkeit, des Scheiterns – zu einem neuen Anfang geworden: aus der Tiefe des Todes steigt die Zusage des ewigen Lebens empor. Am Kreuz erstrahlt schon der Siegesglanz des Ostermorgens.
In der Stille dieser Nacht, in der Stille, die den Karsamstag umfängt, leben wir, berührt von der grenzenlosen Liebe Gottes, in der Erwartung des Morgens des dritten Tages, des Morgens des Sieges der Liebe Gottes, des Morgens des Lichts, das den Augen des Herzens ermöglicht, das Leben, die Schwierigkeiten, das Leid auf neue Weise zu sehen. Unsere Misserfolge, unsere Enttäuschungen, unsere bitteren Erfahrungen, wo alles zusammenzubrechen scheint, werden von der Hoffnung erhellt. Der Vater bestätigt die Liebestat am Kreuz, und das strahlende Licht der Auferstehung umhüllt und verwandelt alles: aus Verrat kann Freundschaft erstehen, aus Verleugnung Vergebung, aus Hass Liebe.
Herr, gib, dass wir unser Kreuz, unsere täglichen Kreuze in Liebe tragen, in der Gewissheit, dass sie vom Glanz deines Ostern erhellt werden. Amen.



14.04.2022

Gründonnerstag




PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI.
Gründonnerstag
Lateranbasilika
5. April 2012

Liebe Schwestern und Brüder!

Der Gründonnerstag ist nicht nur der Tag der Einsetzung der heiligsten Eucharistie, deren Glanz freilich alles andere überstrahlt und gleichsam in sich hineinzieht. Zum Gründonnerstag gehört auch die dunkle Nacht auf dem Ölberg, in die Jesus mit seinen Jüngern hinausgeht; zu ihm gehört die Einsamkeit und die Verlassenheit Jesu, der betend dem Dunkel des Todes entgegentritt; zu ihm gehört der Verrat des Judas und die Verhaftung Jesu wie auch die Verleugnung durch Petrus; die Anklage vor dem Hohen Rat und die Auslieferung an die Heiden, an Pilatus. Versuchen wir in dieser Stunde etwas von diesen Vorgängen tiefer zu verstehen, weil sich darin das Geheimnis unserer Erlösung abspielt.
Jesus geht in die Nacht hinaus. Nacht bedeutet Kommunikationslosigkeit, in der einer den anderen nicht sieht. Sie ist Sinnbild des Nicht-Verstehens, der Verdunkelung der Wahrheit. Sie ist der Raum, in dem das Böse sich entfalten kann, das sich vor dem Licht verstecken muss. Jesus ist selbst das Licht und die Wahrheit, die Kommunikation, die Reinheit und die Güte. Er begibt sich in die Nacht. Nacht ist letztlich Symbol des Todes, des endgültigen Verlustes von Gemeinschaft und Leben. Jesus geht in die Nacht hinein, um sie zu überwinden und um den neuen Tag Gottes in der Geschichte der Menschheit zu eröffnen.
Er hat auf diesem Weg mit seinen Aposteln die Psalmen von der Befreiung und Errettung Israels gesungen, die an das erste Pascha in Ägypten, an die Nacht der Befreiung erinnerten. Nun geht er, wie er es gewohnt ist, um allein zu beten und als Sohn mit dem Vater zu sprechen. Aber anders als gewohnt will er drei Jünger – Petrus, Jakobus und Johannes – in seiner Nähe wissen. Es sind die drei, die die Verklärung erlebt haben – das Durchleuchten der Herrlichkeit Gottes durch seine menschliche Gestalt hindurch – und die ihn dabei in der Mitte von Gesetz und Propheten, zwischen Moses und Elias gesehen hatten. Sie hatten gehört, wie er mit beiden über seinen „Exodus“ in Jerusalem sprach. Der Exodus Jesu in Jerusalem – welch geheimnisvolles Wort! Der Exodus Israels aus Ägypten war das Ereignis von Flucht und Errettung des Gottesvolkes gewesen. Wie würde Jesu Exodus aussehen, in dem sich der Sinn des geschichtlichen Dramas endgültig erfüllen mußte? Nun wurden sie Zeugen der ersten Strecke dieses Exodus – der äußersten Erniedrigung, die doch der wesentliche Schritt des Hinausgehens in die Freiheit und in das neue Leben war, auf das der Exodus zielt. Die Jünger, deren Nähe Jesus in dieser Stunde der äußersten Not als Stück menschlicher Geborgenheit suchte, schliefen alsbald ein. Aber ein paar Fetzen der Gebetsworte Jesu haben sie gehört und seine Haltung beobachtet. Beides hat sich ihnen tief eingeprägt, und sie haben es der Christenheit für alle Zeiten überliefert. Jesus sagt Abba zu Gott. Das bedeutet, wie sie hinzufügen, Vater. Aber es ist nicht die gewöhnliche Form des Wortes Vater, sondern ein Wort aus der Kindersprache – ein zärtliches Wort, mit dem man Gott nicht anzureden wagte. Es ist die Sprache dessen, der wirklich „Kind“, Sohn des Vaters ist, der mit Gott in der Gemeinschaft innerster Einheit steht.
Wenn wir fragen, worin das am meisten charakteristische Element der Gestalt Jesu in den Evangelien besteht, dann müssen wir sagen: Es ist sein Gottesverhältnis. Er steht immer im Austausch mit Gott. Das Sein mit dem Vater ist der Kern seiner Persönlichkeit. Durch Christus kennen wir Gott wirklich. „Niemand hat Gott je gesehen“, sagt der heilige Johannes. „Der am Herzen des Vaters ruht, er hat ihn uns ausgelegt.“ (Joh 1, 18). Nun kennen wir Gott, wie er wirklich ist. Er ist Vater, und zwar in reiner Güte, der wir uns anvertrauen dürfen. Der Evangelist Markus, der die Erinnerungen des heiligen Petrus festgehalten hat, erzählt uns, daß Jesus zu der Anrede Abba noch hinzugefügt hat: Dir ist alles möglich. Du kannst alles (Mk 14, 36). Der die Güte ist, ist zugleich Macht, allmächtig. Macht ist Güte, und die Güte ist Macht. Dieses Vertrauen dürfen wir vom Ölbergsgebet Jesu lernen.
Bevor wir den Inhalt von Jesu Bitte bedenken, müssen wir auch noch darauf achten, was uns die Evangelisten über die Haltung Jesu bei seinem Beten berichten. Matthäus und Markus sagen uns, daß er sich zu Boden warf (Mt 26, 39; vgl. Mk14,35), also die Haltung radikaler Hingabe einnahm, wie sie in der römischen Liturgie sich am Karfreitag erhalten hat. Lukas hingegen sagt uns, daß Jesus kniend gebetet habe. In der Apostelgeschichte berichtet er von dem knienden Beten der Heiligen: Stephanus bei seiner Steinigung, Petrus bei einer Totenerweckung, Paulus auf dem Weg zum Martyrium. Lukas hat so eine kleine Geschichte des knienden Betens in der werdenden Kirche entworfen. Die Christen treten mit ihrem Knien in das Ölbergsgebet Jesu hinein. In der Bedrohung durch die Macht des Bösen sind sie als Kniende aufrecht der Welt gegenüber, aber als Kinder auf den Knien vor dem Vater. Vor der Herrlichkeit Gottes knien wir Christen und anerkennen seine Göttlichkeit, aber wir drücken in dieser Gebärde auch unsere Zuversicht aus, daß er siegt.
Jesus ringt mit dem Vater. Er ringt mit sich selbst. Und er ringt um uns. Er erleidet die Angst vor der Macht des Todes. Dies ist zunächst einfach die dem Menschen, ja jeder lebenden Kreatur eigene Erschütterung vor der Gegenwart des Todes. Aber bei Jesus geht es um mehr. Er sieht in die Nächte des Bösen hinein. Er sieht die schmutzige Flut aller Lüge und alles Niedrigen, die auf ihn zukommt in dem Kelch, den er trinken muß. Es ist die Erschütterung des ganz Reinen und Heiligen vor der ganzen Flut des Bösen dieser Welt, die auf ihn hereinbricht. Er sieht auch mich und betet auch für mich. So ist dieser Augenblick der Todesangst Jesu ein wesentliches Moment im Vorgang der Erlösung. Der Brief an die Hebräer hat deshalb das Ringen Jesu auf dem Ölberg als einen priesterlichen Vorgang gewertet. In diesem von der Todesangst durchdrungenen Beten Jesu vollzieht der Herr die Aufgabe des Priesters: Er nimmt die Schuld der Menschheit, er nimmt uns alle auf sich und trägt uns zum Vater hin.
Schließlich müssen wir noch auf den Inhalt von Jesu Beten auf dem Ölberg achten. Jesus sagt: „Vater, dir ist alles möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, wie ich will, sondern wie du willst“ (Mk 14, 36). Der natürliche Wille des Menschen Jesus schreckt vor dem Ungeheueren zurück. Er bittet, daß ihm dies erspart bleibe. Aber als Sohn legt er diesen menschlichen Willen in den Willen des Vaters hinein: Nicht ich, sondern du. Damit hat er die Haltung Adams, die Ursünde des Menschen umgewandelt und so den Menschen geheilt. Die Haltung Adams war gewesen: Nicht was du, Gott, gewollt hast, sondern ich selber will Gott sein. Dieser Hochmut ist das eigentliche Wesen der Sünde. Wir denken, wir seien erst frei und wahrhaft wir selber, wenn wir nur noch dem eigenen Willen folgen. Gott erscheint als Gegensatz unserer Freiheit. Von ihm müssen wir uns befreien, so denken wir: Dann erst seien wir frei. Dies ist die grundlegende Rebellion, die die Geschichte durchzieht und die grundliegende Lüge, die unser Leben verfälscht. Wenn der Mensch gegen Gott steht, steht er gegen seine Wahrheit und wird daher nicht frei, sondern entfremdet. Frei sind wir erst, wenn wir in unserer Wahrheit sind, wenn wir eins mit Gott sind. Dann werden wir wirklich „wie Gott“ - nicht indem wir uns Gott entgegensetzen, ihn abschaffen oder leugnen. Im ringenden Gebet des Ölbergs hat Jesus den falschen Gegensatz zwischen Gehorsam und Freiheit aufgelöst und den Weg in die Freiheit eröffnet. Bitten wir den Herrn, daß er uns in dieses Ja zum Willen Gottes hineinführt und uns so wahrhaft frei werden läßt. Amen.



10.04.2022

Palmsonntag




PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI.
Palmsonntag
XXVII. Weltjugendtag, Petersplatz
Palmsonntag, 1. April 2012

Liebe Brüder und Schwestern!

Der Palmsonntag ist das große Portal, das uns in die Karwoche eintreten läßt, in die Woche, in der Jesus, der Herr, dem Höhepunkt Seines Erdenlebens entgegengeht. Er geht nach Jerusalem hinauf, um die Schrift zu erfüllen und ans Kreuz gehängt zu werden; es ist der Thron, von dem aus Er auf ewig herrschen, die Menschheit aller Zeiten an sich ziehen und allen das Geschenk der Erlösung anbieten wird. Aus den Evangelien wissen wir, dass Jesus Sich gemeinsam mit den Zwölf auf den Weg nach Jerusalem gemacht hatte und dass sich ihnen nach und nach eine immer größer werdende Schar von Pilgern angeschlossen hatte. Der heilige Markus erzählt uns, dass es schon beim Verlassen Jerichos eine „große Menschenmenge“ gab, die Jesus folgte (vgl. 10,46).
Auf diesem letzten Wegstück ereignet sich etwas Besonderes, das die Erwartung dessen, was sich da anbahnt, steigert und bewirkt, dass sich die Aufmerksamkeit noch mehr auf Jesus konzentriert. An der Straße, die aus Jericho herausführt, sitzt ein Blinder namens Bartimäus und bettelt. Sobald er hört, dass Jesus von Nazareth vorbeikommt, beginnt er laut zu rufen: „Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir!“ (Mk 10,47). Man versucht, ihn zum Schweigen zu bringen, doch vergeblich, bis Jesus ihn rufen lässt und ihn auffordert, näher zu kommen. „Was soll Ich dir tun?“, fragt Er ihn. Und der Blinde erwidert: „Rabbuni, ich möchte wieder sehen können“ (V. 51). Darauf sagt Jesus: „Geh! Dein Glaube hat dir geholfen“. Bartimäus erhält sein Sehvermögen zurück und folgt Jesus auf Seinem Weg (vgl. V. 52). Nach diesem wunderbaren Zeichen in Verbindung mit jenem Ruf: „Sohn Davids“ breitet sich in der Menge plötzlich eine Welle messianischer Hoffnung aus, die in vielen die Frage aufkommen lässt: Ist dieser Jesus, der ihnen nach Jerusalem vorangeht, vielleicht der Messias, der neue David? Und ist mit Seinem schon unmittelbar bevorstehenden Einzug in die Heilige Stadt vielleicht der Moment gekommen, in dem Gott endlich das Reich Davids wiederherstellt?
Auch die Vorbereitung des Einzugs, die Jesus gemeinsam mit seinen Jüngern trifft, trägt dazu bei, diese Hoffnung zu steigern. Wie wir im heutigen Evangelium gehört haben (vgl. Mk 11,1-10), kommt Jesus von Betfage und vom Ölberg aus nach Jerusalem, also über die Straße, auf der der Messias kommen sollte. Von dort aus sendet Er zwei Jünger voraus und trägt ihnen auf, Ihm ein Eselfohlen zu bringen, das sie unterwegs finden würden. Sie finden tatsächlich den jungen Esel, binden ihn los und führen ihn zu Jesus. An diesem Punkt überkommt die Herzen der Jünger und auch der anderen Pilger die Begeisterung: Sie nehmen ihre Mäntel und legen sie auf den Esel; andere breiten sie auf der Straße vor Jesus aus, der auf dem Esel voranreitet. Dann schneiden sie Zweige von den Bäumen und beginnen, Worte aus Psalm 118 zu rufen, alte Segensworte für die Pilger, die in diesem Zusammenhang zu einer messianischen Proklamation werden: „Hosanna! Gesegnet sei Er, Der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt. Hosanna in der Höhe!“ (V. 9-10). Diese von allen vier Evangelisten überlieferte freudige Akklamation ist ein Segensruf, ein jubelndes Loblied: Es drückt die einmütige Überzeugung aus, dass Gott in Jesus Sein Volk besucht hat und dass endlich der ersehnte Messias gekommen ist. Und alle sind dort in zunehmender Erwartung des Werkes, das Jesus vollbringen wird, wenn er in die Stadt eingezogen ist.
Doch was ist der Inhalt, der tiefste Widerhall dieses Jubelrufs? Die Antwort erhalten wir aus der gesamten Heiligen Schrift, die uns daran erinnert, daß der Messias die Segens-Verheißung Gottes zur Erfüllung bringt, die ursprüngliche Verheißung, die Gott dem Abraham, dem Vater aller Glaubenden, gemacht hatte: „Ich werde dich zu einem großen Volk machen und dich segnen … Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen“ (Gen 12,2-3). Es ist die Verheißung, die Israel im Gebet immer lebendig gehalten hatte, besonders im Psalmengebet. Darum ist Derjenige, der von der Menge als der Gesegnete bejubelt wird, zugleich Der, durch Den die gesamte Menschheit Segen erlangen wird. So erkennt sich im Licht Christi die Menschheit zutiefst geeint und gleichsam in den Mantel des göttlichen Segens eingehüllt, eines Segens, der alles durchdringt, alles trägt, alles erlöst, alles heiligt.
Hier können wir eine erste große Botschaft entdecken, die das heutige Fest uns übermittelt: die Aufforderung, die gesamte Menschheit in der rechten Weise in den Blick zu nehmen, die Völker, aus denen sich die Welt zusammensetzt, ihre verschiedenen Kulturen und Zivilisationen. Der Blick, den der Glaubende von Christus empfängt, ist der Blick des Segens: ein weiser und liebevoller Blick, der fähig ist, die Schönheit der Welt zu erfassen und mit ihrer Gebrechlichkeit mitzuleiden. Durch diesen Blick scheint der Blick Gottes selbst hindurch, den Er auf die Menschen richtet, die er liebt, und auf die Schöpfung, die das Werk Seiner Hände ist. Im Buch der Weisheit lesen wir: „Du hast mit allen Erbarmen, weil Du alles vermagst, und siehst über die Sünden der Menschen hinweg, damit sie sich bekehren. Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was Du gemacht hast … Du schonst alles, weil es Dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens“ (11,23-24.26).
Kehren wir zum heutigen Evangelium zurück und fragen wir uns: Was bewegt denn wirklich die Herzen derer, die Christus als den König Israels bejubeln? Sicher hatten sie eine eigene Vorstellung vom Messias, eine Vorstellung davon, wie der von den Propheten verheißene und lang erwartete König handeln müsse. Es ist kein Zufall, dass wenige Tage später die Menschenmenge von Jerusalem, anstatt Jesus zuzujubeln, Pilatus zuruft: „Kreuzige Ihn!“. Selbst die Jünger wie auch andere, die Ihn gesehen und Ihm zugehört hatten, verstummen und sind verstört. Die meisten waren nämlich enttäuscht von der Art, die Jesus gewählt hatte, Sich als Messias und König Israels zu zeigen. Genau hier liegt der Kern des heutigen Festes, auch für uns. Wer ist Jesus von Nazareth für uns? Welche Vorstellung haben wir vom Messias, welche Vorstellung haben wir von Gott? Das ist eine entscheidende Frage, die wir nicht umgehen können, um so weniger, als wir gerade in dieser Woche aufgefordert sind, unserem König zu folgen, Der als Thron das Kreuz wählt; einem Messias zu folgen, Der uns nicht ein einfaches irdisches Glück zusichert, sondern das Glück des Himmels, die Seligkeit Gottes. So müssen wir uns also fragen: Was sind unsere wahren Erwartungen? Welches die tiefsten Wünsche, mit denen wir heute hierher gekommen sind, um den Palmsonntag zu feiern und die Karwoche zu beginnen?
Liebe junge Freunde, die ihr hier zusammengekommen seid! Dies ist in besonderer Weise euer Tag, überall in der Welt, wo die Kirche gegenwärtig ist. Darum begrüße ich euch sehr herzlich! Möge der Palmsonntag für euch der Tag der Entscheidung sein – der Entscheidung, den Herrn aufzunehmen und Ihm bis zum Äußersten zu folgen; der Entscheidung, sein Pascha von Tod und Auferstehung zum eigentlichen Sinn eures Lebens als Christen zu machen. Es ist die Entscheidung, die zur wahren Freude führt, wie ich bereits in der Botschaft – „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit!“ (Phil 4,4) – an die Jugendlichen zu diesem Tag erwähnt habe und wie es die heilige Klara von Assisi erlebte, die vor achthundert Jahren – hingerissen vom Beispiel des heiligen Franziskus und seinen ersten Gefährten – gerade am Palmsonntag das elterliche Haus verließ, um sich ganz dem Herrn zu weihen: Sie war achtzehn Jahre alt und hatte im Glauben den Mut und die Liebe, sich für Christus zu entscheiden, da sie in ihm die Freude und den Frieden fand.
Liebe Brüder und Schwestern, mögen besonders zwei Grundstimmungen diese Tage beherrschen: der Lobpreis, wie bei denen, die Jesus in Jerusalem mit ihrem „Hosanna“ empfangen haben, und der Dank, weil Jesus, der Herr, uns in dieser Karwoche von neuem das denkbar größte Geschenk machen wird: Er wird uns Sein Leben schenken, Seinen Leib und Sein Blut, Seine Liebe. Doch auf ein so großes Geschenk müssen wir in angemessener Weise antworten, das heißt mit dem Geschenk unserer selbst: unserer Zeit, unseres Gebetes, unseres tiefen, liebevollen verbunden seins mit Christus, Der für uns leidet, stirbt und aufersteht. Die Kirchenväter haben ein Symbol all dessen in der Geste der Menschen gesehen, die Jesus bei Seinem Einzug in Jerusalem folgten, in der Geste, ihre Mäntel vor dem Herrn auszubreiten. Vor Christus – sagten die Väter – müssen wir unser Leben, unser ganzes Sein ausbreiten, in einer Haltung der Dankbarkeit und der Anbetung. Hören wir zum Abschluss noch einmal die Stimme eines dieser alten Väter, des heiligen Bischofs Andreas von Kreta: „Breiten wir also demütig vor Christus uns selber aus und nicht die Mäntel oder leblose Zweige und grüne Blätter, welche die Augen nur für wenige Stunden erfreuen und deren Schicksal es ist, mit dem Pflanzensaft auch ihr Grün zu verlieren. Breiten wir uns selber aus, bekleidet mit Seiner Gnade oder besser: mit Ihm Selbst ganz und gar … und werfen wir uns wie ausgebreitete Mäntel Ihm zu Füßen … damit wir dem Sieger über den Tod nicht mehr einfache Palmzweige, sondern Siegestrophäen darbringen können. Indem wir die geistlichen Zweige der Seele schwingen, rufen auch wir jeden Tag, gemeinsam mit den Kindern, in heiligem Jubel: »Gesegnet sei Er, Der kommt im Namen des Herrn, der König Israels!«“ (PG 97,994). Amen!

http://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/homilies/2012/
documents/hf_ben-xvi_hom_20120401_palm-sunday.html




25.03.2022

Hochfest Verkündigung des Herrn – Mariä Verkündigung




PREDIGT VON BENEDIKT XVI.
Hochfest der Verkündigung des Herrn
Petersplatz
Samstag, 25. März 2006

Meine Herren Kardinäle und Patriarchen,
verehrte Brüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Es ist für mich ein Grund zu großer Freude, nach dem gestrigen Konsistorium dieser Konzelebration mit den neuen Kardinälen vorzustehen, und ich sehe es als ein Zeichen der Vorsehung an, dass diese am liturgischen Hochfest der Verkündigung des Herrn stattfindet – und bei dem Sonnenschein, den der Herr uns schenkt. In der Menschwerdung des Sohnes Gottes erkennen wir die Anfänge der Kirche. Alles kommt von dort her. Jede geschichtliche Verwirklichung der Kirche und auch jede ihrer Institutionen muss sich auf jene Urquelle zurückbesinnen. Sie muss sich zurückbesinnen auf Christus, fleischgewordenes Wort Gottes. Er ist es, den wir immer feiern: der Immanuel, der Gott-mit-uns, durch Den sich der Heilswille des Vaters erfüllt hat. Und dennoch (gerade heute betrachten wir diesen Aspekt des Geheimnisses) fließt die göttliche Quelle durch einen privilegierten Kanal: die Jungfrau Maria. Mit einem ausdrucksstarken Bild spricht der hl. Bernhard diesbezüglich von »aquaeductus« (vgl. Sermo in Nativitate B. V. Mariae: PL 183,437–448). Wenn wir die Menschwerdung des Sohnes feiern, ehren wir immer auch die Mutter. An sie erging die Verkündigung des Engels; sie nahm sie an, und als sie aus tiefstem Herzen antwortete: »Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie Du es gesagt hast« (Lk 1,38), begann in jenem Augenblick das ewige Wort sein Dasein als Mensch in der Zeit.
Von Generation zu Generation bleibt das Staunen über dieses unfassbare Geheimnis lebendig. Der hl. Augustinus stellt sich vor, dass er sich an den Engel der Verkündigung wenden und ihn fragen würde: »Sag mir, Engel, warum ist das an Maria geschehen?« Die Antwort, so der Bote, ist in den Grußworten enthalten: »Sei gegrüßt, die du voll der Gnade bist« (vgl. Sermo 291,6). In der Tat, als der Engel »bei ihr eintritt«, nennt er sie nicht mit ihrem irdischen Namen Maria, sondern mit ihrem göttlichen, so wie Gott sie seit jeher sieht und bezeichnet: »Voll der Gnade – gratia plena«, im griechischen Original κεχαριτωµενη, »Begnadete«, und die Gnade ist nichts anderes als die Liebe Gottes, so dass wir dieses Wort schließlich mit die von Gott »geliebte « übersetzen könnten (vgl. Lk 1,28). Origines hält fest, dass niemals ein Mensch mit einem solchen Ehrentitel bedacht worden sei und dass dieser an keiner anderen Stelle der ganzen Heiligen Schrift vorkomme (vgl. In Lucam 6,7). Der Titel ist in passiver Form ausgedrückt, aber diese »Passivität« Mariens, die von jeher und für immer die vom Herrn »geliebte« ist, schließt ihre freie Zustimmung, ihre persönliche und eigene Antwort ein: Im Geliebtsein, im Empfangen der Gabe Gottes, ist Maria ganz aktiv, weil sie die Flut der Liebe Gottes, die sich in sie ergießt, in persönlicher Bereitschaft aufnimmt. Auch darin ist sie vollkommene Jüngerin ihres Sohnes, Der durch den Gehorsam gegenüber dem Vater Seine eigene Freiheit ganz verwirklicht und eben auf diese Weise seine Freiheit ausübt, indem er gehorcht. In der Zweiten Lesung haben wir die wunderbare Stelle gehört, wo der Verfasser des Hebräerbriefes den 40. Psalm im Licht der Menschwerdung Christi auslegt: »Darum spricht Christus bei Seinem Eintritt in die Welt: … Ja, Ich komme, um Deinen Willen, Gott, zu tun« (Hebr 10,5–7). Angesichts des Geheimnisses dieses zweifachen »Siehe, hier bin ich« – des »Siehe, hier bin Ich« des Sohnes und des »Siehe, hier bin ich« der Mutter, die sich ineinander widerspiegeln und ein einziges Amen zum Liebeswillen Gottes bilden – verweilen wir in Staunen und beten voll Dankbarkeit an.
Was ist es doch für ein großes Geschenk, Brüder, dass wir diese eindrucksvolle Feier am Hochfest der Verkündigung des Herrn begehen dürfen! Wieviel Licht können wir aus diesem Geheimnis für unser Leben als Amtsträger der Kirche schöpfen! Besonders ihr, liebe neue Kardinäle: Welche Stütze werdet ihr für eure Sendung als herausragender »Senat« des Nachfolgers Petri haben können! Dieses von der Vorsehung bestimmte zeitliche Zusammentreffen hilft uns, das heutige Ereignis, in dem das petrinische Prinzip der Kirche besonders hervortritt, im Licht des anderen, des marianischen Prinzips zu betrachten, das noch ursprünglicher und fundamentaler ist. Die Bedeutung des marianischen Prinzips in der Kirche wurde nach dem Konzil von meinem geliebten Vorgänger Papst Johannes Paul II. in Übereinstimmung mit seinem Wahlspruch »Totus tuus« besonders hervorgehoben. In seinem spirituellen Ansatz und in seinem unermüdlichen Dienst wurde die Gegenwart Mariens als Mutter und Königin der Kirche vor den Augen aller offenbar. Mehr denn je spürte er diese mütterliche Gegenwart beim Attentat vom 13. Mai 1981 hier auf dem Petersplatz. Er wünschte, dass zur Erinnerung an jenes tragische Geschehen eine Mosaikdarstellung der allerseligsten Jungfrau vom Apostolischen Palast herab den Petersplatz beherrschen sollte, um die Höhepunkte und den gewöhnlichen Verlauf seines langen Pontifikats zu begleiten, das gerade vor einem Jahr in seine letzte, schmerzensreiche und zugleich triumphale, wahrhaft österliche Phase eintrat. Die Ikone der Verkündigung lässt uns besser als jede andere ganz klar wahrnehmen, wie alles in der Kirche auf jenes Geheimnis der Annahme des göttlichen Wortes zurückgeht, wo durch das Wirken des Heiligen Geistes der Bund zwischen Gott und der Menschheit in vollkommener Weise besiegelt worden ist. Alles in der Kirche, jede Einrichtung und jeder Dienst, auch der des Petrus und seiner Nachfolger, ist unter dem Mantel der Jungfrau »hineingenommen« in die Gnadenfülle ihres »Ja« zum Willen Gottes. Es handelt sich um ein Band, das in uns allen natürlich einen starken gefühlsmäßigen Widerhall findet, dem aber vor allem eine objektive Wertigkeit zukommt. Zwischen Maria und der Kirche besteht in der Tat eine Konnaturalität, die das Zweite Vatikanische Konzil mit der glücklichen Entscheidung, den Traktat über die allerseligste Jungfrau an den Schluss der Konstitution über die Kirche Lumen gentium zu stellen, nachdrücklich unterstrichen hat.
Das Thema der Verbindung zwischen dem petrinischen und dem marianischen Prinzip können wir auch im Symbol des Ringes, den ich euch gleich überreichen werde, wiederentdecken. Der Ring ist immer ein hochzeitliches Symbol. Fast alle von euch haben ihn bereits am Tag ihrer Bischofsweihe erhalten als Ausdruck der Treue und des Auftrags, die heilige Kirche, Braut Christi, zu hüten (vgl. Ritus der Bischofsweihe). Der Ring, den ich euch heute als Zeichen der Kardinalswürde überreiche, soll diesen Auftrag bekräftigen und verstärken, wieder ausgehend von einer Hochzeitsgabe, die euch vor allem daran erinnert, innig mit Christus vereint zu sein, um die Sendung eines »Bräutigams der Kirche« zu erfüllen. Den Ring zu erhalten bedeutet also für euch gleichsam, euer »Ja«, euer »Hier bin ich« zu erneuern, das gleichzeitig dem Herrn, Der euch erwählt und eingesetzt hat, und Seiner heiligen Kirche gilt, der mit bräutlicher Liebe zu dienen ihr gerufen seid. Die beiden Dimensionen der Kirche, die marianische und die petrinische, treffen sich also in dem, was die Erfüllung beider ausmacht, das heißt im höchsten Wert der Liebe: der »größten« Gnadengabe, dem »besten von allen Wegen«, wie der Apostel Paulus schreibt (vgl. 1 Kor 12,31; 13,13).
Alles in dieser Welt vergeht. Ewig bleibt nur die Liebe. Darum, Brüder, wollen wir die Gnade der Fastenzeit nutzen und uns bemühen, dafür zu sorgen, dass alles in unserem persönlichen Leben wie auch in unserer kirchlichen Tätigkeit, in die wir eingefügt sind, von der Liebe bestimmt werde und zur Liebe hinstrebe. Auch dazu erleuchtet uns das Geheimnis, das wir heute feiern. Denn nachdem sie die Botschaft des Engels empfangen hatte, war die erste Tat Mariens, dass sie zum Haus ihrer Base Elisabet »eilte«, um ihr zu dienen (vgl. Lk 1,39). Die Jungfrau Maria handelte aus echter, demütiger und mutiger Liebe, vom Glauben an das Wort Gottes und vom inneren Antrieb des Heiligen Geistes geführt. Wer liebt, vergisst sich selbst und stellt sich in den Dienst des Nächsten. Das ist das Bild, das Modell der Kirche! Jede kirchliche Gemeinschaft ist wie die Mutter Christi dazu aufgerufen, in voller Bereitschaft das Geheimnis Gottes anzunehmen, Der kommt, um in ihr zu wohnen, und sie auf Wege der Liebe führt. Das ist der Weg, auf dem ich mein Pontifikat beginnen wollte, indem ich mit der ersten Enzyklika alle dazu eingeladen habe, die Kirche in der Liebe aufzubauen, als »Gemeinschaft der Liebe« (vgl. Enyzklika Deus caritas est, Zweiter Teil). Bei der Verfolgung dieses Zieles, verehrte Brüder Kardinäle, ist mir eure geistliche und tätige Nähe große Hilfe und Trost. Und dafür danke ich euch, während ich euch alle, Priester, Diakone, Ordensleute und Laien, einlade, euch in der Anrufung des Heiligen Geistes zu vereinigen, damit das Kardinalskollegium immer mehr von glühender pastoraler Liebe beseelt sei, um der ganzen Kirche zu helfen, die Liebe Christi in die Welt auszustrahlen – zum Lob und zur Ehre der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Amen!



02.03.2022

Aschermittwoch = Beginn der Fastenzeit



PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI.
Aschermittwoch
Petersdom
13. Februar 2013


Verehrte Mitbrüder!
Liebe Brüder und Schwestern!

Heute, am Aschermittwoch, beginnen wir einen neuen Weg der Fastenzeit – einen Weg, der sich über vierzig Tage hinzieht und uns zur Osterfreude des Herrn, zum Sieg des Lebens über den Tod führt. Nach der uralten römischen Tradition der Stationskirchen in der Fastenzeit haben wir uns heute zur Feier der Eucharistie versammelt. Diese Tradition sieht vor, dass die erste statio in der Basilika Santa Sabina auf dem Aventinhügel stattfindet. Die Umstände ließen es ratsam erscheinen, sich im Petersdom im Vatikan zu versammeln. Heute abend sind wir in großer Zahl hier am Grab des Apostels Petrus, auch um seine Fürsprache für den Weg der Kirche in diesem besonderen Augenblick zu erbitten und unseren Glauben an den obersten Hirten, Christus, den Herrn, zu erneuern. Für mich ist das eine günstige Gelegenheit, allen – speziell den Gläubigen der Diözese Rom – zu danken, während ich mich anschicke, meinen Petrusdienst zu beenden, und um ein besonderes Gebetsgedenken zu bitten.
Die vorgetragenen Lesungen geben uns Anregungen, die wir in dieser Fastenzeit mit Gottes Gnade in Haltungen und konkretes Verhalten umsetzen sollen. Die Kirche stellt uns wieder neu vor allem die nachdrückliche Ermahnung vor Augen, die der Prophet Joël an das Volk Israel richtet: » Kehrt um zu Mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen « (2,12). Die Worte » von ganzem Herzen « sind dabei zu unterstreichen; sie bedeuten: vom Zentrum unserer Gedanken und Gefühle her, von den Wurzeln unserer Entschlüsse, Entscheidungen und Taten aus, in einem Akt völliger und radikaler Freiheit. Aber ist eine solche Umkehr zu Gott möglich? Ja, denn es gibt eine Kraft, die nicht in unserem Herzen wohnt, sondern dem Herzen Gottes selbst entströmt. Es ist die Kraft Seiner Barmherzigkeit. Der Prophet fährt fort: » Kehrt um zum Herrn, eurem Gott! Denn Er ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Güte und es reut Ihn, dass Er das Unheil verhängt hat « (V. 13). Die Umkehr zum Herrn ist möglich als „Gnade“, denn sie ist Werk Gottes und Frucht unseres Glaubens an Seine Barmherzigkeit. Dieses Umkehren zu Gott wird in unserem Leben nur dann konkrete Wirklichkeit, wenn die Gnade des Herrn in unser Innerstes eindringt, es aufrüttelt und uns die Kraft gibt, unser » Herz zu zerreißen «. Wieder ist es der Prophet, der von Gott her diese Worte erschallen läßt: » Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider « (V. 13). In der Tat sind auch heute viele bereit, angesichts von – natürlich von anderen begangenen – Skandalen und Ungerechtigkeiten „ihre Kleider zu zerreißen“, aber wenige scheinen bereit, auf ihr „Herz“, ihr Gewissen, ihre Absichten einzuwirken und zuzulassen, dass der Herr sie verwandle, erneuere und bekehre.
Dieses »Kehrt um zu Mir von ganzem Herzen« ist dann ein Aufruf, der nicht nur den einzelnen betrifft, sondern die Gemeinschaft. In der ersten Lesung haben wir des weiteren gehört: » Auf dem Zion stoßt in das Horn, ordnet ein heiliges Fasten an, ruft einen Gottesdienst aus! Versammelt das Volk, heiligt die Gemeinde! Versammelt die Alten, holt die Kinder zusammen, auch die Säuglinge! Der Bräutigam verlasse seine Kammer und die Braut ihr Gemach « (V. 15-16). Der gemeinschaftliche Aspekt ist ein wesentliches Element im Glauben und im christlichen Leben. Christus ist gekommen, » um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln « (Joh 11,52). Das „Wir“ der Kirche ist die Gemeinschaft, in der Jesus uns vereint (vgl. Joh 12,32): Der Glaube ist zwangsläufig kirchlich. Und es ist wichtig, sich das in dieser Fastenzeit ins Gedächtnis zu rufen und danach zu leben: Jeder sei sich bewusst, dass er den Weg der Buße nicht allein antritt, sondern gemeinsam mit vielen Brüdern und Schwestern, in der Kirche.
Schließlich kommt der Prophet auf das Gebet der Priester zu sprechen, die sich mit Tränen in den Augen an Gott wenden und sagen: » Überlass dein Erbe nicht der Schande, damit die Völker nicht über uns spotten. Warum soll man bei den Völkern sagen: „Wo ist denn ihr Gott?“ « (V. 17). Dieses Gebet lässt uns darüber nachdenken, welche Bedeutung das christliche Glaubens- und Lebenszeugnis eines jeden von uns und unserer Gemeinschaften für das Gesicht der Kirche hat und wie dieses bisweilen verunstaltet wird. Ich denke besonders an die Vergehen gegen die Einheit der Kirche, an die Spaltungen im Leib der Kirche. Die Fastenzeit in einer intensiveren und sichtbareren Gemeinschaft mit der Kirche zu leben, indem man Individualismen und Rivalitäten überwindet, ist ein demütiges und kostbares Zeichen für diejenigen, die dem Glauben fern sind oder ihm gegenüber gleichgültig sind.
» Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; jetzt ist er da, der Tag der Rettung « (2 Kor 6,2). Die Worte des Apostels Paulus an die Christen von Korinth erklingen auch für uns mit einer Dringlichkeit, die kein Fernbleiben oder keine Untätigkeit duldet. Der mehrmals wiederholte Ausdruck „jetzt“ besagt, dass man sich diesen Moment nicht entgehen lassen darf, er wird uns wie eine einmalige, unwiederholbare Gelegenheit angeboten. Und der Blick des Apostels konzentriert sich auf das Teilen, das Christus zum Merkmal Seines Lebens machen wollte, indem Er alles Menschliche annahm bis dahin, selbst die Sünde der Menschen auf Sich zu laden. Der Satz des heiligen Paulus ist sehr stark: Gott hat Ihn » für uns zur Sünde gemacht «. Jesus, der Unschuldige, der Heilige, » Der keine Sünde kannte « (2 Kor 5,21), lädt sich die Last der Sünde auf und teilt mit der Menschheit ihre Folge, den Tod – den Tod am Kreuz. Die Versöhnung, die uns angeboten wird, wurde um einen sehr hohen Preis erkauft: das auf Golgotha aufgerichtete Kreuz, an das der menschgewordene Sohn Gottes geheftet wurde. In diesem Eintauchen Gottes in das menschliche Leiden und in den Abgrund des Bösen liegt die Wurzel unserer Rechtfertigung. Unser » Umkehren zu Gott von ganzem Herzen « auf unserem Weg in der Fastenzeit geht über das Kreuz, über die Nachfolge Christi auf dem Weg, die zum Kalvarienberg führt, zur vollkommenen Selbsthingabe. Es ist ein Weg, auf dem wir täglich lernen müssen, immer mehr aus unserem Egoismus und aus unserer Verschlossenheit herauszukommen, um Platz zu machen für Gott, der das Herz öffnet und verwandelt. Und der heilige Paulus erinnert daran, wie die Botschaft des Kreuzes für uns erklingt durch die Verkündigung des Wortes Gottes, dessen Botschafter der Apostel selber ist; eine Ermahnung an uns, damit dieser Weg der Fastenzeit gekennzeichnet sei von größerer Aufmerksamkeit und Beständigkeit im Hören auf Gottes Wort – das Licht, das unsere Schritte erhellt.
In dem Abschnitt aus dem Matthäusevangelium, der zur sogenannten Bergpredigt gehört, bezieht Jesus sich auf die drei grundlegenden Übungen, die das Gesetz des Mose vorsah: Almosengeben, Gebet und Fasten; es sind auch die traditionellen Weisungen für die Fastenzeit, um der Einladung, » von ganzem Herzen zu Gott umzukehren «, zu entsprechen. Doch Jesus unterstreicht, dass es die Qualität und die Wahrheit der Beziehung zu Gott ist, welche die Echtheit jeder religiösen Handlung ausmacht. Deshalb prangert Er die religiöse Scheinheiligkeit an, das Verhalten, sich in Szene zu setzen, sowie die Haltungen, die Beifall und Zustimmung suchen. Der wahre Jünger dient nicht sich selbst oder der „Öffentlichkeit“, sondern dem Herrn, in Einfachheit und Großherzigkeit: » Und dein Vater, Der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten « (Mt 6,4.6.18). Unser Zeugnis wird immer um so wirksamer sein, je weniger wir unsere eigene Ehre suchen und uns bewust sind, dass der Lohn des Gerechten Gott Selber ist, das Vereint-Sein mit Ihm – hier unten auf dem Weg des Glaubens und am Ende des Lebens im Frieden und im Licht der Begegnung von Angesicht zu Angesicht mit Ihm für immer (vgl. 1 Kor 13,12).
Liebe Brüder und Schwestern, beginnen wir diesen Weg durch die Fastenzeit voll Zuversicht und Freude. Möge die Einladung zur Bekehrung, die Aufforderung, » von ganzem Herzen zu Gott umzukehren «, laut in uns erklingen, so dass wir Seine Gnade annehmen, die uns zu neuen Menschen macht mit jener überraschenden Neuheit, die Teilhabe am Leben Jesu selbst ist. Niemand soll also taub sein für diesen Aufruf, der auch aus diesem schlichten, so einfachen und zugleich so eindrucksvollen Ritus der Auflegung der Asche zu uns spricht, den wir gleich vollziehen werden. Es begleite uns in dieser Zeit die Jungfrau Maria, Mutter der Kirche und Vorbild jedes wahren Jüngers des Herrn. Amen!



25.01.2022

Bekehrung des Hl. Apostels Paulus



Stellungnahme von Papst em. Benedikt XVI.
Vatikanstadt
6. Februar 2022

Liebe Schwestern und Brüder!

Nach der Vorstellung des Missbrauchs-Gutachtens für die Erzdiözese München und Freising am 20. Januar 2022 drängt es mich, ein persönliches Wort an Sie alle zu richten. Denn wenn ich auch nur knapp fünf Jahre Erzbischof von München und Freising sein durfte, so bleibt doch die innere Zugehörigkeit mit dem Münchener Erzbistum als meiner Heimat inwendig weiter bestehen.

Zunächst möchte ich ein Wort herzlichen Dankes sagen. Ich habe in diesen Tagen der Gewissenserforschung und Reflexion so viel Ermutigung, so viel Freundschaft und so viele Zeichen des Vertrauens erfahren dürfen, wie ich es mir nicht hätte vorstellen können. Besonders danken möchte ich der kleinen Gruppe von Freunden, die selbstlos für mich meine 82-seitige Stellungnahme für die Kanzlei verfaßt hat, die ich allein nicht hätte schreiben können. Es waren über die von der Kanzlei mir gestellten Fragen hinaus nahezu 8000 Seiten digitale Aktendokumentation zu lesen und auszuwerten. Diese Mitarbeiter haben mir nun auch geholfen, das fast 2000-seitige Gutachten zu studieren und zu analysieren. Das Ergebnis wird im Anschluß an meinen Brief auch veröffentlicht.

Bei der Riesenarbeit jener Tage – der Erarbeitung der Stellungnahme – ist ein Versehen erfolgt, was die Frage meiner Teilnahme an der Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980 betrifft. Dieser Fehler, der bedauerlicherweise geschehen ist, war nicht beabsichtigt und ist, so hoffe ich, auch entschuldbar. Das habe ich bereits in der Pressemitteilung vom 24. Januar 2022 durch Erzbischof Gänswein mitteilen lassen. Es ändert nichts an der Sorgfalt und an der Hingabe an die Sache, die den Freunden selbstverständliches Gebot war und ist. Daß das Versehen ausgenutzt wurde, um an meiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln, ja, mich als Lügner darzustellen, hat mich tief getroffen. Um so bewegender sind für mich die vielfältigen Stimmen des Vertrauens, herzlichen Zeugnisse und berührenden Briefe der Ermutigung, die mich von sehr vielen Menschen erreicht haben. Besonders dankbar bin ich für das Vertrauen, für die Unterstützung und für das Gebet, das mir Papst Franziskus persönlich ausgedrückt hat. Endlich möchte ich noch eigens der kleinen Familie im Monastero „Mater Ecclesiae“ danken, deren Mitsein in frohen und schwierigen Stunden mir jenen inneren Zusammenhalt gibt, der mich trägt.
Dem Wort des Dankes muß aber nun auch ein Wort des Bekenntnisses folgen. Es berührt mich immer stärker, daß die Kirche an den Eingang der Feier des Gottesdienstes, in dem der Herr uns sein Wort und sich selbst schenkt, Tag um Tag das Bekenntnis unserer Schuld und die Bitte um Vergebung setzt. Wir bitten den lebendigen Gott vor der Öffentlichkeit um Vergebung für unsere Schuld, ja, für unsere große und übergroße Schuld. Mir ist klar, daß das Wort „übergroß“ nicht jeden Tag, jeden einzelnen in gleicher Weise meint. Aber es fragt mich je-den Tag an, ob ich nicht ebenfalls heute von übergroßer Schuld sprechen muß. Und es sagt mir tröstend, wie groß auch immer meine Schuld heute ist, der Herr vergibt mir, wenn ich mich ehrlich von ihm durchschauen lasse und so wirklich zur Änderung meines Selbst bereit bin.
Bei all meinen Begegnungen vor allem auf mehreren Apostolischen Reisen mit von Priestern sexuell mißbrauchten Menschen habe ich den Folgen der übergroßen Schuld ins Auge gesehen und verstehen gelernt, daß wir selbst in diese übergroße Schuld hineingezogen werden, wenn wir sie übersehen wollen oder sie nicht mit der nötigen Entschiedenheit und Verantwortung angehen, wie dies zu oft geschehen ist und geschieht. Wie bei diesen Begegnungen kann ich nur noch einmal meine tiefe Scham, meinen großen Schmerz und meine aufrichtige Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Mißbrauchs zum Ausdruck bringen. Ich habe in der katholischen Kirche große Verantwortung getragen. Umso größer ist mein Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind.

Jeder einzelne Fall eines sexuellen Übergriffs ist furchtbar und nicht wieder gut zu machen. Die Opfer von sexuellem Missbrauch haben mein tiefes Mitgefühl und ich bedauere jeden einzelnen Fall.

Immer mehr verstehe ich die Abscheu und die Angst, die Christus auf dem Ölberg überfielen, als er all das Schreckliche sah, das er nun von innen her überwinden sollte. Daß gleichzeitig die Jünger schlafen konnten, ist leider die Situation, die auch heute wieder von neuem besteht und in der auch ich mich angesprochen fühle. So kann ich nur den Herrn und alle Engel und Heiligen und Euch, liebe Schwestern und Brüder, bitten, für mich zu beten bei Gott unserem Herrn.
Ich werde ja nun bald vor dem endgültigen Richter meines Lebens stehen. Auch wenn ich beim Rückblick auf mein langes Leben viel Grund zum Erschrecken und zur Angst habe, so bin ich doch frohen Mutes, weil ich fest darauf vertraue, daß der Herr nicht nur der gerechte Richter ist, sondern zugleich der Freund und Bruder, der mein Ungenügen schon selbst durchlitten hat und so als Richter zugleich auch mein Anwalt (Paraklet) ist. Im Blick auf die Stunde des Gerichts wird mir so die Gnade des Christseins deutlich. Es schenkt mir die Bekanntschaft, ja, die Freundschaft mit dem Richter meines Lebens und läßt mich so zuversichtlich durch das dunkle Tor des Todes hindurchgehen. Mir kommt dabei immer wieder in den Sinn, was Johannes in seiner Apokalypse am Anfang erzählt: Er sieht den Menschensohn in seiner ganzen Größe und fällt vor ihm zusammen, wie wenn er tot wäre. Aber da legt er seine Hand auf ihn und sagt: Fürchte dich nicht, ich bin es!... (vgl. Apk 1, 12 – 17).

Liebe Freunde, in diesem Sinn segne ich Euch alle.

Benedikt XVI.

Stellungnahme von Benedikt XVI. - Vorgelesen von Erzbischof Georg Gänswein
https://youtu.be/8d7Uh4gdC-k



PAPST BENEDIKT XVI. sagt dazu:

Der hl. Paulus ist also nicht von einem Gedanken, sondern von einem Ereignis verwandelt worden, von der unwiderstehlichen Gegenwart des Auferstandenen, an der er fortan nie zweifeln können wird, so stark war die Offenkundigkeit des Ereignisses, dieser Begegnung. Sie änderte das Leben des Paulus grundlegend; in diesem Sinn kann und muss man von einer Bekehrung sprechen.




01.02.2022

Nachwort von Papst Benedikt XVI
aus dem Evangelium vom 01.02.2021

„Verlass diesen Mann, du unreiner Geist!“

Die Tatsache der Macht des Bösen im Herzen des Menschen und in der menschlichen Geschichte ist also unbestreitbar. Die Frage ist: Wie ist dieses Böse zu erklären? […] Der christliche Glaube [sagt uns]: Es gibt zwei Geheimnisse des Lichts und ein Geheimnis der Nacht, das jedoch von den Geheimnissen des Lichts umhüllt ist. Das erste Geheimnis des Lichts ist dieses: Der Glaube sagt uns, dass es nicht zwei Prinzipien, ein gutes und ein böses, gibt, sondern nur ein einziges Prinzip, den Schöpfergott, und dieses Prinzip ist gut, nur gut, ohne jeglichen Schatten des Bösen. Und deshalb ist auch das Sein keine Mischung aus Gutem und Bösem. Das Sein als solches ist gut, und deshalb ist es gut zu sein, ist es gut zu leben. Das ist die Frohbotschaft des Glaubens: Es gibt nur einen guten Quell, den Schöpfer. […]

Dann folgt ein Geheimnis der Finsternis, der Nacht. Das Böse stammt nicht aus der Quelle des Seins selbst, es ist nicht gleichursprünglich. Das Böse stammt aus einer geschaffenen Freiheit, aus einer missbrauchten Freiheit. Wie war das möglich, wie ist das geschehen? Das bleibt im Dunkeln. Das Böse ist nicht logisch. […] Wir können es rätselnd ahnen, aber nicht erklären; und wir können es auch nicht wie eine Tatsache unter anderen erzählen, weil es sich um eine tiefere Wirklichkeit handelt. Es bleibt ein Geheimnis der Dunkelheit, der Nacht.

Aber da kommt sogleich ein Geheimnis des Lichts hinzu. Das Böse kommt aus einer untergeordneten Quelle. Gott ist stärker mit seinem Licht. Und deshalb kann das Böse überwunden werden. Deshalb ist das Geschöpf, der Mensch heilbar. […] Und schließlich als letzter Punkt: Der Mensch ist nicht nur heilbar, er ist tatsächlich geheilt. Gott hat die Heilung eingeleitet. Er ist selbst in die Geschichte eingetreten. Der ständigen Quelle des Bösen hat er eine Quelle des reinen Guten entgegengesetzt. Der gekreuzigte und auferstandene Christus, der neue Adam, setzt der schmutzigen Flut des Bösen eine Flut des Lichts entgegen. Und diese Flut ist in der Geschichte gegenwärtig: Wir sehen die Heiligen, die großen Heiligen, aber auch die demütigen Heiligen, die einfachen Gläubigen. Wir sehen, dass die Flut des Lichts, das von Christus kommt, gegenwärtig und stark ist.



09.01.2022

DieTaufe des Herrn




PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI.
zur Taufe des Herrn
vom 13.01.2013

Der Bericht von der Taufe Jesu im Evangelium, das wir heute in der Version des hl. Lukas gehört haben, zeigt den Weg der Erniedrigung und Demut, den der Sohn Gottes freiwillig gewählt hat, um dem Plan des Vaters zu folgen, um Seinem Liebeswillen im Hinblick auf den Menschen in allem gehorsam zu sein, bis hin zum Kreuzesopfer. Erwachsen geworden, beginnt Jesus Seine öffentliche Sendung, indem Er sich zum Jordan begibt, um von Johannes eine Taufe der Buße und Umkehr zu empfangen. Es geschieht das, was in unseren Augen paradox erscheinen könnte. Braucht Jesus Buße und Umkehr? Sicherlich nicht. Und doch reiht sich gerade Er, der ohne Sünde ist, unter die Sünder ein, um sich taufen zu lassen, um diese Geste der Buße zu vollbringen; der Heilige Gottes vereint sich mit denen, die erkennen, dass sie der Vergebung bedürfen, und die Gott um die Gabe der Bekehrung bitten, das heißt um die Gnade mit ganzem Herzen zu Ihm zurückzukehren, um vollkommen Ihm zu gehören. Jesus will sich auf die Seite der Sünder stellen, indem er mit ihnen solidarisch ist und die Nähe Gottes zum Ausdruck bringt. Jesus zeigt Seine Solidarität mit uns, mit unserer Mühe, uns zu bekehren, unsere Egoismen hinter uns zu lassen, von unseren Sünden loszukommen, um uns zu sagen, dass Er – wenn wir ihn in unser Leben aufnehmen – fähig ist, uns wieder aufzurichten und zur Höhe Gottes, des Vaters zu führen. Und diese Solidarität Jesu ist nicht nur sozusagen eine bloße Übung des Geistes und des Willens. Jesus ist wirklich in unsere menschliche Situation eingetaucht, Er hat sie bis ins Letzte gelebt, ausgenommen die Sünde, und Er kann deren Schwäche und Zerbrechlichkeit verstehen. Deshalb hat Er Mitleid, will Er »mit« den Menschen »leiden«, mit uns Buße tun. Das ist das Werk Gottes, das Jesus vollbringen will: die Göttliche Sendung, für den zu sorgen, der verletzt ist; den zu heilen, der krank ist, und die Sünde der Welt auf sich zu nehmen.
Was geschieht im Augenblick der Taufe Jesu durch Johannes? Angesichts dieser demütigen Geste der Liebe von Seiten des Gottessohnes öffnet sich der Himmel, und der Heilige Geist offenbart sich sichtbar im Bild der Taube, während eine Stimme aus der Höhe das Wohlgefallen des Vaters zum Ausdruck bringt, der den eingeborenen, geliebten Sohn anerkennt. Es handelt sich um eine wirkliche Offenbarung der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, die die Gottheit Jesu bezeugt und dass Er der verheißene Messias ist, von Gott gesandt, um Sein Volk zu befreien, damit es gerettet wird (vgl. Jes 40,2). So wird die Prophetie Jesajas Wirklichkeit, die wir in der ersten Lesung gehört haben: Gott, der Herr, kommt mit Macht, um die Werke der Sünde zuvernichten, und Er herrscht mit starkem Arm, um den Bösen zu entwaffnen. Aber denken wir daran, dass dieser Arm der am Kreuz ausgestreckte Arm ist und dass die Macht Christi die Macht dessen ist, der für uns leidet: das ist die Macht Gottes, die anders ist als die Macht der Welt; so kommt Gott mit Macht, um die Sünde zu vernichten. Jesus handelt wie der gute Hirte, der seine Herde weidet und sammelt, damit sie nicht verloren geht (vgl. Jes 40,10–11), und der sein eigenes Leben hingibt, damit sie das Leben hat. Durch den Erlösungstod Jesu wird der Mensch von der Herrschaft der Sünde befreit und mit dem Vater versöhnt; durch die Auferstehung Jesu wird der Mensch aus dem ewigen Tod gerettet und erlangt den Sieg über das Böse.
Das Ereignis wird im liturgischen Jahr der katholischen Kirche als Fest der Taufe des Herrn gefeiert. Die Taufe des Herrn war im Kirchenjahr der lateinischen Kirche seit früher Zeit neben der Anbetung der Sterndeuter und der Hochzeit zu Kana das zweite der drei Festgeheimnisse des Hochfestes der Erscheinung des Herrn und wurde an dessen Oktavtag, dem 13. Januar, besonders bedacht. Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils verlegte das Fest nach der Abschaffung der Oktav dieses Festes auf den Sonntag nach Erscheinung des Herrn, wo es den Abschluss der Weihnachtszeit bildet. Oft wird in der Heiligen Messe des Festes Taufe des Herrn die Taufe gespendet oder der eigenen Taufe im Taufgedächtnis gedacht. So ist es im Vatikan Brauch, dass der Papst die Messe zum Fest in der Sixtinischen Kapelle feiert und dabei zahlreichen Kindern die Taufe spendet. In der ordentlichen Form des römischen Ritus gilt dieser Sonntag als der 1. Sonntag im Jahreskreis und die auf ihn folgende Woche ist die 1. Woche im Jahreskreis.

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Taufe_Jesu



PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI.
Sixtinische Kapelle
Sonntag, 13. Januar 2013

Liebe Brüder und Schwestern!

Die Freude, die der Feier des heiligen Weihnachtsfestes entsprungen ist, findet heute ihre Erfüllung im Fest der Taufe des Herrn. Zu dieser Freude kommt ein weiterer Grund hinzu für uns, die wir hier versammelt sind: Im Sakrament der Taufe, das wir gleich diesen Neugeborenen spenden werden, offenbart sich die lebendige und wirksame Gegenwart des Heiligen Geistes, der die Kirche um neue Söhne und Töchter bereichert und sie so belebt und wachsen lässt, und darüber können wir uns nur freuen. Einen besonderen Gruß möchte ich an euch richten, liebe Eltern und Paten, die ihr heute euren Glauben bezeugt, indem ihr um die Taufe für diese Kinder bittet, damit sie zum neuen Leben in Christus geboren und Glieder der Gemeinschaft der Gläubigen werden.
Der Bericht von der Taufe Jesu im Evangelium, das wir heute in der Version des hl. Lukas gehört haben, zeigt den Weg der Erniedrigung und Demut, den der Sohn Gottes freiwillig gewählt hat, um dem Plan des Vaters zu folgen, um Seinem Liebeswillen im Hinblick auf den Menschen in allem gehorsam zu sein, bis hin zum Kreuzesopfer. Erwachsen geworden, beginnt Jesus Seine öffentliche Sendung, indem er sich zum Jordan begibt, um von Johannes eine Taufe der Buße und Umkehr zu empfangen. Es geschieht das, was in unseren Augen paradox erscheinen könnte. Braucht Jesus Buße und Umkehr? Sicherlich nicht. Und doch reiht sich gerade Er, Der ohne Sünde ist, unter die Sünder ein, um Sich taufen zu lassen, um diese Geste der Buße zu vollbringen; der Heilige Gottes vereint sich mit denen, die erkennen, dass sie der Vergebung bedürfen, und die Gott um die Gabe der Bekehrung bitten, das heißt um die Gnade mit ganzem Herzen zu ihm zurückzukehren, um vollkommen ihm zu gehören. Jesus will sich auf die Seite der Sünder stellen, indem Er mit ihnen solidarisch ist und die Nähe Gottes zum Ausdruck bringt. Jesus zeigt Seine Solidarität mit uns, mit unserer Mühe, uns zu bekehren, unsere Egoismen hinter uns zu lassen, von unseren Sünden loszukommen, um uns zu sagen, dass Er – wenn wir Ihn in unser Leben aufnehmen – fähig ist, uns wieder aufzurichten und zur Höhe Gottes, des Vaters zu führen. Und diese Solidarität Jesu ist nicht nur sozusagen eine bloße Übung des Geistes und des Willens. Jesus ist wirklich in unsere menschliche Situation eingetaucht, Er hat sie bis ins Letzte gelebt, ausgenommen die Sünde, und Er kann deren Schwäche und Zerbrechlichkeit verstehen. Deshalb hat Er Mitleid, will Er »mit« den Menschen »leiden«, mit uns Buße tun. Das ist das Werk Gottes, das Jesus vollbringen will: die göttliche Sendung, für den zu sorgen, der verletzt ist; den zu heilen, der krank ist, und die Sünde der Welt auf Sich zu nehmen.
Was geschieht im Augenblick der Taufe Jesu durch Johannes? Angesichts dieser demütigen Geste der Liebe von Seiten des Gottessohnes öffnet sich der Himmel, und der Heilige Geist offenbart Sich sichtbar im Bild der Taube, während eine Stimme aus der Höhe das Wohlgefallen des Vaters zum Ausdruck bringt, Der den eingeborenen, geliebten Sohn anerkennt. Es handelt sich um eine wirkliche Offenbarung der allerheiligsten Dreifaltigkeit, Die die Gottheit Jesu bezeugt und dass Er der verheißene Messias ist, von Gott gesandt, um Sein Volk zu befreien, damit es gerettet wird (vgl. Jes 40,2). So wird die Prophetie Jesajas Wirklichkeit, die wir in der ersten Lesung gehört haben: Gott, der Herr, kommt mit Macht, um die Werke der Sünde zu vernichten, und Er herrscht mit starkem Arm, um den Bösen zu entwaffnen. Aber denken wir daran, dass dieser Arm der am Kreuz ausgestreckte Arm ist und dass die Macht Christi die Macht dessen ist, Der für uns leidet: das ist die Macht Gottes, die anders ist als die Macht der Welt; so kommt Gott mit Macht, um die Sünde zu vernichten. Jesus handelt wie der gute Hirte, der seine Herde weidet und sammelt, damit sie nicht verloren geht (vgl. Jes 40,10–11), und der sein eigenes Leben hingibt, damit sie das Leben hat. Durch den Erlösungstod Jesu wird der Mensch von der Herrschaft der Sünde befreit und mit dem Vater versöhnt; durch die Auferstehung Jesu wird der Mensch aus dem ewigen Tod gerettet und erlangt den Sieg über das Böse.
Liebe Brüder und Schwestern, was geschieht in der Taufe, die ich gleich euren Kindern spenden werde? Es geschieht gerade dies: Sie werden tief und für immer mit Christus verbunden, eingetaucht in das Geheimnis Seiner Macht und Stärke, das heißt in das Geheimnis seines Todes, der Quelle des Lebens ist, um an Seiner Auferstehung teilzuhaben, um zu einem neuen Leben geboren zu werden. Das ist das Wunder, das sich heute auch für eure Kinder wiederholt: Durch den Empfang der Taufe werden sie als Kinder Gottes wiedergeboren, sie haben teil an der Sohnesbeziehung Jesu zum Vater, sie können sich an Gott wenden, indem sie ihn mit tiefer Vertrautheit und voll Vertrauen: »Abbà, Vater« nennen. Auch über euren Kindern steht der Himmel offen, und Gott sagt: das sind Meine Kinder, Kinder meines Wohlgefallens. In diese Beziehung eingefügt und befreit von der Erbsünde, werden sie lebendige Glieder des einen Leibes, der die Kirche ist, und werden in die Lage versetzt, ihre Berufung zur Heiligkeit in Fülle zu leben, so dass sie das ewige Leben erben können, dass uns die Auferstehung Jesu erlangt hat.
Liebe Eltern, durch die Bitte um die Taufe für eure Kinder bekennt und bezeugt ihr euren Glauben, ihr legt Zeugnis ab von der Freude, Christ zu sein und zur Kirche zu gehören. Es ist die Freude, die aus dem Bewusstsein kommt, von Gott ein großes Geschenk empfangen zu haben: den Glauben – eine Gabe, die niemand von uns verdienen konnte, sondern die uns umsonst geschenkt wurde und auf die wir mit unserem »Ja« geantwortet haben. Es ist die Freude zu erkennen, dass wir Kinder Gottes sind; zu entdecken, dass wir Seinen Händen anvertraut sind, und uns von einer Umarmung der Liebe angenommen zu fühlen, genau so wie eine Mutter ihr Kind stützt und umarmt. Diese Freude, die den Weg jedes Christen lenkt, gründet sich auf eine persönliche Beziehung zu Jesus, eine Beziehung, die der gesamten menschliche Existenz Orientierung gibt. Denn Er ist der Sinn unseres Lebens. Es lohnt sich, den Blick fest auf Ihn zu richten, um von Seiner Wahrheit erleuchtet zu werden und in Fülle leben zu können. Der Weg des Glaubens, der heute für diese Kinder beginnt, ist gegründet auf eine Gewissheit, auf die Erfahrung, dass es nichts Größeres gibt, als Christus zu kennen und anderen die Freundschaft mit ihm mitzuteilen; erst in dieser Freundschaft gehen überhaupt die großen Möglichkeiten des Menschseins auf und können wir erfahren, was schön und was befreiend ist (vgl. Predigt in der heiligen Messe zur Amtseinführung, 24. April 2005). Wer diese Erfahrung gemacht hat, ist nicht um alles in der Welt bereit, auf seinen Glauben zu verzichten.
Euch, lieben Taufpatinnen und Taufpaten, kommt die wichtige Aufgabe zu, das Werk der Erziehung der Eltern zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, indem ihr ihnen bei der Weitergabe der Glaubenswahrheiten und im Zeugnis für die Werte des Evangeliums zur Seite steht; indem ihr dazu beitragt, dass diese Kinder in einer immer tieferen Freundschaft mit dem Herrn aufwachsen können. Versteht es, ihnen immer euer gutes Beispiel zu geben durch die Übung der christlichen Tugenden. Es ist nicht leicht, offen und kompromisslos zu bezeugen, an was man glaubt, insbesondere im Kontext, in dem wir leben, gegenüber einer Gesellschaft, die diejenigen, die aus dem Glauben an Jesus leben, oft als unmodern und rückständig betrachtet.
Im Gefolge dieser Mentalität kann es auch unter den Christen das Risiko geben, die Beziehung zu Jesus als Einschränkung anzusehen, als etwas, das die eigene Selbstverwirklichung erstickt: »Gott selbst wird immer wieder als die Grenze unserer Freiheit gesehen, die beseitigt werden müsse, damit der Mensch ganz er selber sein könne« (Jesus von Nazareth, Bd. 1: Die Kindheitsgeschichten, 93). Aber dem ist nicht so! Diese Sichtweise zeigt, dass man nichts von der Beziehung zu Gott verstanden hat, weil man gerade, indem man auf dem Glaubensweg Schritt für Schritt vorangeht, versteht, wie Jesus das befreiende Handeln der Liebe Gottes auf uns ausübt, das uns aus unserem Egoismus herauskommen lässt, aus unserem in uns selbst verschlossen sein, um uns zu einem Leben in Fülle zu führen, in der Gemeinschaft mit Gott und offen für die anderen. »›Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm‹ (1 Joh 4,16). In diesen Worten aus dem Ersten Johannesbrief ist die Mitte des christlichen Glaubens, das christliche Gottesbild und auch das daraus folgende Bild des Menschen und seines Weges in einzigartiger Klarheit ausgesprochen« (Enzyklika Deus caritas est, 1).
Das Wasser, mit dem diese Kinder im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes bezeichnet werden, wird sie eintauchen in jene »Quelle« des Lebens, die Gott selbst ist, und sie zu Seinen wahren Kindern machen. Es ist der Same der von Gott eingegossenen theologischen Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe, ein Same, der heute durch die Kraft des Heiligen Geistes in ihr Herz gelegt wird und immer durch das Wort Gottes und die Sakramente genährt werden muß, so dass diese Tugenden des Christen wachsen und zur vollen Reife gelangen können, bis sie aus jedem von ihnen einen wahren Zeugen des Herrn machen. Während wir auf diese Kleinen den Heiligen Geist herabrufen, vertrauen wir sie dem Schutz der allerseligsten Jungfrau an; sie möge sie immer mit ihrer mütterlichen Gegenwart behüten und sie in jedem Augenblick ihres Lebens begleiten. Amen.



06.01.2022

Erscheinung des Herrn

Heilige Drei Könige
Kaspar, Melchior, Balthasar




PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI.
zum Fest der Erscheinung des Herrn (Hl. 3 Könige)
Petersdom
Sonntag, 6. Januar 2013

Liebe Brüder und Schwestern!

Für die glaubende und betende Kirche sind die Weisen aus dem Morgenland, die unter der Führung des Sterns zur Krippe von Bethlehem gefunden haben, nur der Anfang einer großen Prozession, die sich durch die Geschichte hindurchzieht. Darum liest die Liturgie das Evangelium, das vom Weg der Weisen erzählt, zusammen mit den glanzvollen prophetischen Visionen von Jesaja 60 und Psalm 72, die in kühnen Bildern die Wallfahrt der Völker nach Jerusalem schildern. Wie die Hirten, die als erste Gäste beim neugeborenen Kind in der Krippe die Armen Israels verkörpern und überhaupt die demütigen Seelen, die von innen her ganz nah bei Jesus leben, so verkörpern die Männer aus dem Morgenland die Welt der Völker, die Kirche aus den Heiden – die Menschen, die sich alle Jahrhunderte hindurch auf den Weg zum Kind von Bethlehem machen, in ihm den Sohn Gottes verehren und sich vor ihm beugen. Die Kirche nennt dieses Fest Epiphanie – Erscheinen des Göttlichen. Wenn wir darauf hinschauen, wie seit jenem Beginn Menschen aller Herkünfte, aller Erdteile, all der verschiedenen Kulturen und Weisen des Denkens und Lebens auf dem Weg zu Christus waren und sind, dann dürfen wir wirklich sagen, dass diese Pilgerschaft und die Begegnung mit Gott als Kind eine Epiphanie der Güte und der Menschenfreundlichkeit Gottes ist (Tit 3,4).
Einer vom seligen Papst Johannes Paul II. begründeten Tradition folgend, begehen wir das Fest der Epiphanie des Herrn zugleich als Tag der Bischofsweihe für vier Priester, die nun in verschiedenen Funktionen am Dienst des Papstes für die Einheit der einen Kirche Jesu Christi in der Vielheit der Teilkirchen mitwirken werden. Der Zusammenhang dieser Bischofsweihe mit dem Thema der Wallfahrt der Völker zu Jesus Christus ist offenkundig. Dem Bischof ist es aufgetragen, in dieser Wallfahrt nicht nur mitzugehen, sondern voranzugehen und den Weg zu zeigen. Ich möchte aber noch eine konkretere Frage in diesem Gottesdienst zusammen mit Ihnen betrachten. Anhand der von Matthäus erzählten Geschichte können wir uns durchaus ein gewisses Bild davon machen, was für Menschen dies gewesen sein müssen, die da auf das Zeichen des Sterns hin aufgebrochen sind, um den König zu finden, der nicht nur für Israel, sondern für die Menschheit eine neue Art von Königtum begründen sollte. Was also waren das für Menschen? Und fragen wir auch, ob trotz des Unterschieds der Zeiten und der Aufträge von ihnen her etwas darüber sichtbar werden kann, was ein Bischof ist und wie er seinen Auftrag erfüllen soll.
Die Männer, die da ins Unbekannte ausgezogen sind, waren auf jeden Fall Menschen des unruhigen Herzens. Menschen, die die Unruhe nach Gott und nach dem Heil der Welt umtrieb. Wartende Menschen, die sich nicht begnügten mit ihrem gesicherten Einkommen und ihrer wohl ansehnlichen sozialen Stellung. Sie hielten Ausschau nach dem Größeren. Es waren wohl gelehrte Männer, die vieles von den Gestirnen wussten und wohl auch über philosophische Bildung verfügten. Aber sie wollten nicht einfach nur vieles wissen. Sie wollten vor allem das Wesentliche wissen. Sie wollten wissen, wie man es macht, ein Mensch zu sein. Und deshalb wollten sie wissen, ob es Gott gibt, wo und wie er ist. Ob er sich um uns kümmert und wie wir ihm begegnen können. Sie wollten nicht nur wissen. Sie wollten die Wahrheit über uns und über Gott und die Welt erkennen. Ihre äußere Pilgerschaft ist Ausdruck ihres inneren Unterwegsseins, der inneren Pilgerschaft ihres Herzens. Es waren Menschen, die Gott suchten und letztlich auf dem Weg zu ihm hin waren. Es waren Gottsucher.
Damit sind wir aber nun bei der Frage: Wie muss ein Mensch sein, dem die Hände zur Bischofsweihe in der Kirche Jesu Christi aufgelegt werden? Wir können sagen: Er muss vor allem ein Mensch sein, dem es um Gott geht, denn nur dann geht es ihm auch wirklich um die Menschen. Wir könnten auch umgekehrt sagen: Ein Bischof muss ein Mensch sein, dem die Menschen am Herzen liegen, den das Geschick der Menschen bewegt. Er muss ein Mensch für die anderen sein. Aber das kann er nur dann wirklich, wenn er ein von Gott ergriffener Mensch ist. Wenn ihm die Unruhe zu Gott zur Unruhe für sein Geschöpf Mensch geworden ist. Wie die Weisen aus dem Morgenland, so darf auch ein Bischof nicht jemand sein, der bloß seinen Job ausübt und es dabei bewenden lässt. Nein, er muss von der Unruhe Gottes für die Menschen ergriffen sein. Er muss gleichsam mit Gott mitdenken und mitfühlen. Nicht nur dem Menschen ist die Unruhe für Gott eingeschaffen, sondern diese Unruhe ist Mitbeteiligung an der Unruhe Gottes für uns. Weil Gott nach uns unruhig ist, darum geht er uns nach bis in die Krippe, bis an das Kreuz. „Von der Suche nach mir bist du müde am Brunnen gesessen, hast zu meiner Erlösung das Kreuz erlitten. Lass diese Mühsal nicht umsonst gewesen sein“, betet die Kirche im Dies Irae. Die Unruhe des Menschen nach Gott und von ihr her die Unruhe Gottes nach dem Menschen muss den Bischof umtreiben. Das ist gemeint, wenn wir sagen, dass der Bischof vor allem ein Mensch des Glaubens sein muss. Denn Glaube ist nichts anderes als das innere Berührtsein von Gott, das uns auf den Weg des Lebens führt. Glaube zieht uns in das Ergriffensein von Gottes Unruhe hinein und macht uns zu Pilgern, die innerlich unterwegs sind zum wahren König der Welt und zu Seiner Verheißung der Gerechtigkeit, der Wahrheit, der Liebe. Der Bischof muss in dieser Pilgerschaft vorausgehen, den Menschen Wegweiser zu Glaube, Hoffnung und Liebe hin sein.
Die innere Pilgerschaft des Glaubens zu Gott hin vollzieht sich vor allem im Gebet. Der heilige Augustinus hat einmal gesagt, das Gebet sei letztlich nichts anderes als Aktualisierung und Radikalisierung unserer Sehnsucht nach Gott. Wir könnten statt des Wortes „Sehnsucht“ auch das Wort „Unruhe“ einsetzen und sagen, dass das Gebet uns aus unserer falschen Bequemlichkeit, aus unserer Verschlossenheit ins Materielle und Sichtbare herausreißen und uns die Unruhe zu Gott hin vermitteln will; uns so gerade auch offen und unruhig füreinander macht. Der Bischof muss als Pilger Gottes vor allem ein betender Mensch sein. Er muss im steten inneren Kontakt mit Gott leben, seine Seele muss weit auf Gott hin offenstehen. Er muss seine Nöte und die der anderen, auch seine Freuden und die der anderen, zu Gott hintragen und so auf seine Weise den Kontakt zwischen Gott und der Welt in der Gemeinschaft mit Christus herstellen, damit Sein Licht in die Welt hereinleuchtet.
Kehren wir zurück zu den Weisen aus dem Morgenland. Dies waren vor allem auch Menschen, die Mut hatten, den Mut und die Demut des Glaubens. Es brauchte Mut, um das Zeichen des Sterns als Auftrag zum Aufbruch anzunehmen, hinauszuziehen – ins Unbekannte, Ungewisse, auf Wegen, auf denen vielerlei Gefahren lauerten. Wir können uns vorstellen, dass der Entscheid dieser Männer Spott hervorrief: den Spott der Realisten, die die Träumerei dieser Menschen nur belachen konnten. Wer auf so ungewisse Verheißungen hin aufbrach und alles riskierte, der konnte nur lächerlich erscheinen. Aber für diese von Gott innerlich angerührten Menschen war der Weg nach Seiner Weisung wichtiger als die Meinung der Menschen. Die Suche nach der Wahrheit war ihnen wichtiger als der Spott der scheinbar gescheiten Welt.
Wie sollten wir bei einer solchen Situation nicht an die Aufgabe eines Bischofs in unserer Zeit denken? Die Demut des Glaubens, des Mitglaubens mit dem Glauben der Kirche aller Zeiten wird immer wieder in Konflikt geraten mit der herrschenden Klugheit derer, die sich ans scheinbar Sichere halten. Wer den Glauben der Kirche lebt und verkündet, steht in vielen Punkten quer zu den herrschenden Meinungen gerade auch in unserer Zeit. Der heute weithin bestimmende Agnostizismus hat seine Dogmen und ist höchst intolerant gegenüber all dem, was ihn und seine Maßstäbe in Frage stellt. Deshalb ist der Mut zum Widerspruch gegen die herrschenden Orientierungen für einen Bischof heute besonders vordringlich. Er muss tapfer sein. Und Tapferkeit besteht nicht im Dreinschlagen, in der Aggressivität, sondern im Sich-schlagen-Lassen und im Standhalten gegenüber den Maßstäben der herrschenden Meinungen. Der Mut des Stehenbleibens bei der Wahrheit ist unausweichlich von denen gefordert, die der Herr wie Schafe unter die Wölfe schickt. „Wer Gott fürchtet, zittert nicht“, sagt das Buch Jesus Sirach (34, 16). Gottesfurcht befreit von der Menschenfurcht. Sie macht frei.
Mir kommt da eine Begebenheit aus den Anfängen des Christentums in den Sinn, die der heilige Lukas in der Apostelgeschichte erzählt. Nach der Rede des Gamaliël, der von der Gewalt gegenüber der werdenden Gemeinschaft der Jesus-Glaubenden abriet, rief der Hohe Rat die Apostel herbei und ließ sie auspeitschen. Dann verbot er ihnen, im Namen Jesu zu predigen und ließ sie frei. Der heilige Lukas fährt dann fort: „Sie aber gingen weg vom Hohen Rat und freuten sich, dass sie gewürdigt worden waren, für Seinen Namen Schmach zu erleiden. Und Tag für Tag lehrten sie unermüdlich… und verkündeten das Evangelium von Jesus, dem Christus“ (Apg 5, 40 ff). Auch die Nachfolger der Apostel müssen damit rechnen, dass sie immer wieder auf moderne Weise verprügelt werden, wenn sie nicht aufhören, das Evangelium Jesu Christi hörbar und verständlich zu verkündigen. Und dann dürfen sie sich freuen, dass sie gewürdigt wurden, für ihn Schmach zu erleiden. Natürlich wollen wir wie die Apostel die Menschen überzeugen und in diesem Sinn Zustimmung gewinnen. Natürlich provozieren wir nicht, sondern ganz im Gegenteil laden wir alle ein in die Freude der Wahrheit, die den Weg zeigt. Aber die Zustimmung der herrschenden Meinungen ist nicht der Maßstab, dem wir uns unterwerfen. Der Maßstab ist ER selbst: der Herr. Wenn wir für Ihn eintreten, werden wir gottlob immer wieder Menschen für den Weg des Evangeliums gewinnen. Aber unweigerlich werden wir auch von denen, die mit ihrem Leben dem Evangelium entgegenstehen, verprügelt, und dann dürfen wir dankbar sein, dass wir gewürdigt werden, am Leiden Christi teilzuhaben.
Die Weisen sind dem Stern gefolgt, und so sind sie zu Jesus gekommen, zu dem großen Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt (vgl. Joh 1,9). Als Pilger des Glaubens sind die Weisen selbst zu Sternen geworden, die vom Himmel der Geschichte leuchten und uns den Weg zeigen. Die Heiligen sind die wahren Sternbilder Gottes, die die Nächte dieser Welt erleuchten und uns führen. Der heilige Paulus hat im Philipper-Brief seinen Gläubigen gesagt, dass sie wie Lichter in der Welt leuchten sollen (Phil 2,15).
Liebe Freunde, dies geht auch uns an. Dies geht besonders euch an, die ihr in dieser Stunde zu Bischöfen der Kirche Jesu Christi geweiht werdet. Wenn ihr mit Christus lebt, im Sakrament neu Ihm verbunden, dann werdet auch ihr weise. Dann werdet ihr Lichter, die den Menschen vorangehen und ihnen den rechten Weg des Lebens zeigen. In dieser Stunde beten wir alle hier für euch, dass der Herr euch mit dem Licht des Glaubens und der Liebe erfüllt. Dass Euch diese Unruhe Gottes um den Menschen berührt, damit alle Seine Nähe erfahren und von Seiner Freude beschenkt werden. Wir bitten für Euch, dass der Herr Euch immer den Mut und die Demut des Glaubens schenke. Wir bitten Maria, die den Weisen den neuen König der Welt gezeigt hat ( Mt 2,11), dass sie als liebevolle Mutter auch euch Jesus Christus zeige und euch helfe, Wegweiser zu Ihm zu sein. Amen.



01.01.2022

Hochfest der Gottesmutter Maria




PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI.
zum Hochfest der Mutter Gottes
vom 01.01.2007

Liebe Brüder und Schwestern!

Die Liturgie betrachtet heute wie in einem Mosaik verschiedene Tatsachen und messianische Wirklichkeiten, aber ihr Augenmerk konzentriert sich vor allem auf Maria, die Mutter Gottes. Acht Tage nach der Geburt Jesu gedenken wir der Mutter, der »Theotókos«, derer, die »den König geboren hat, der in Ewigkeit herrscht über Himmel und Erde« (Eröffnungsvers; vgl. Sedulius). Die Liturgie meditiert heute über das menschgewordene Wort und wiederholt, daß es von der Jungfrau geboren wurde. Sie denkt über die Beschneidung Jesu als einen Ritus der Eingliederung in die Gemeinschaft nach, und sie betrachtet Gott, der seinen eingeborenen Sohn als Haupt des »neuen Volkes« durch Maria geschenkt hat. Sie erinnert an den Namen, der dem Messias gegeben wurde, und hört ihn voll Zärtlichkeit aus dem Mund seiner Mutter. Die Liturgie erbittet für die Welt den Frieden, den Frieden Christi, und sie tut es durch Maria, die Mittlerin und Mitarbeiterin Christi (vgl. Lumen gentium, 60–61).
Wir beginnen ein neues Kalenderjahr, das ein weiterer Zeitabschnitt ist, den uns die göttliche Vorsehung im Kontext des Heils schenkt, das von Christus eröffnet worden ist. Ist aber das ewige Wort nicht gerade durch Maria in die Zeit eingetreten? Daran erinnert in der soeben gehörten zweiten Lesung der Apostel Paulus, und er bekräftigt, dass Jesus »von einer Frau« (vgl. Gal 4,4) geboren wurde. In der Liturgie ragt heute die Gestalt Marias heraus, der wahren Mutter Jesu, des Gott-Menschen. Am heutigen Hochfest wird deshalb keine abstrakte Idee gefeiert, sondern ein Geheimnis und ein geschichtliches Ereignis: Jesus Christus, göttliche Person, wurde von der Jungfrau Maria geboren, die ihm wahrsten Sinn seine Mutter ist.
Außer der Mutterschaft wird heute auch die Jungfräulichkeit Marias hervorgehoben. Es handelt sich um zwei herausragende Eigenschaften, die immer untrennbar miteinander verkündet werden, denn sie ergänzen und kennzeichnen sich gegenseitig. Maria ist Mutter, aber jungfräuliche Mutter; Maria ist Jungfrau, aber mütterliche Jungfrau. Läßt man den einen oder den andern Aspekt außer Acht, versteht man das Geheimnis Marias, wie die Evangelien es uns vorlegen, nicht zur Gänze. Als Mutter Christi ist Maria auch Mutter der Kirche, wie mein verehrter Vorgänger, der Diener Gottes Paul VI., am 21. November 1964 während des II. Vatikanischen Konzils verkünden wollte. Maria ist schließlich geistliche Mutter der ganzen Menschheit, weil Jesus am Kreuz sein Blut für alle vergossen hat und vom Kreuz aus alle ihrer mütterlichen Sorge anvertraut hat.
Mit dem Blick auf Maria beginnen wir also dieses neue Jahr, das wir aus Gottes Händen als ein wertvolles »Talent« empfangen, das es als eine von der Vorsehung gewollte Gelegenheit zu nutzen gilt, um zur Verwirklichung des Reiches Gottes beitzutragen.
»Der Herr segne dich und behüte dich … Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Frieden« (Num 6,24.26). Das ist die Segensformel, die wir in der ersten Lesung gehört haben. Sie ist dem Buch Numeri entnommen. Hier wird der Name des Herrn dreimal angerufen. Das weist auf die Intensität und Kraft des Segens hin, dessen letztes Wort »Frieden« ist. Das biblische Wort »shalom«, das wir mit »Frieden« übersetzen, bedeutet jene Fülle der Güter, in der das »Heil« besteht, das Christus, der von den Propheten angekündigte Messias, gebracht hat. Deshalb erkennen wir Christen in ihm den Friedensfürsten. Er ist Mensch und in einer Krippe in Betlehem geboren geworden, um den Menschen guten Willens, denen, die ihn im Glauben und mit Liebe aufnehmen, seinen Frieden zu bringen. So ist der Frieden wirklich die Gabe und die Aufgabe von Weihnachten: die Gabe, die mit demütiger Fügsamkeit anzunehmen und die ständig mit betendem Vertrauen zu erflehen ist; die Aufgabe, die aus jedem Menschen guten Willens einen »Kanal des Friedens« macht.
Rufen wir zu Maria, der Gottesmutter, dass sie uns hilft, ihren Sohn und in Ihm den wahren Frieden aufzunehmen. Bitten wir sie, unsere Augen zu erleuchten, auf daß wir im Antlitz eines jeden Menschen – Herz des Friedens – das Antlitz Christi zu erkennen vermögen.