«ICH LIEBTE JOHANNES WEGEN SEINER REINHEIT»

von Maria Valtorta

80.

Jesus spricht:

«Die Gruppe, der ich begegnete, war nicht klein; doch nur einer davon erkannte mich, weil seine Seele, sein Geist und Leib frei von Makel waren.

Ich bestehe auf dem Wert der Reinheit. Die Keuschheit ist immer die Quelle der Reinheit der Gedanken. Die Jungfräulichkeit veredelt und bewahrt das geistige und affektive Empfindungsvermögen in so vollkommener Weise, die nur ein jungfräulicher Mensch erfährt.

Jungfräulich sein ist auf verschiedene Art möglich.

Gezwungenermaßen sind es die Frauen, die nicht zur Ehe gewählt worden sind. Für die Männer müßte es ebenso sein. Doch es ist nicht so. Und das ist schlecht, denn aus einer Jugend, die vorzeitig durch Unzucht beschmutzt wird, kann nur ein geistig und seelisch und oft auch körperlich kranker Familienvater hervorgehen.

Gewollte Jungfräulichkeit üben die, die sich Gott mit der ganzen Hingabe ihres Herzens weihen. Wunderbare Jungfräulichkeit! Ein Gott wohlgefälliges Opfer! Doch nicht alle verbleiben in dieser Reinheit der Lilie, die aufrecht auf ihrem Stengel steht, der zum Himmel strebt, ungeachtet eines schmutzigen Erdreiches, und sich öffnet zum Kuß der Sonne Gottes mit ihrem himmlischen Tau.

Viele bleiben nur äußerlich treu; in Gedanken sind sie untreu, weil sie bedauern und zurücknehmen möchten, was sie geopfert haben. Diese sind nur zur Hälfte jungfräulich. Wenn auch das Fleisch unberührt ist, dass Herz ist es nicht. Dieses Herz gärt, rebelliert, versprüht Sinnlichkeit, die um so raffinierter und schlimmer ist, als sie fortwährend Vorstellungen nährt, die für jemand, der ungebunden ist, verboten und um so verwerflicher für solche sind, die Gott ein Gelübde abgelegt haben.

Es kommt zur Heuchelei des Gelübdes. Der Schein ist vorhanden, doch die Substanz fehlt. Wahrlich, ich sage euch, ich nenne „jungfräulich“ jemanden, der zu mir kommt mit einer durch brutale Vergewaltigung verwüsteten Lilie, aber nicht solche, deren Lilie körperlich intakt ist, jedoch beschmutzt durch Sinnlichkeit in einsamen Stunden. Dem ersteren gebe ich den Kranz der Jungfräulichkeit und die Krone des Martyriums wegen des infolge einer von ihm nicht gewollten Verstümmelung verwundeten Fleisches und gemarterten Herzens.

Der Wert der Reinheit ist so hoch, daß, wie du gesehen hast, Satan sich zuerst bemüht, zur Unkeuschheit zu verführen. Er weiß ganz gut, dass die sinnliche Sünde die Seele wehrlos und williger für andere Sünden macht. Der Eifer Satans hat sich auf diesen wesentlichen Punkt gerichtet, um mich zu besiegen.

Das Brot und der Hunger sind die materiellen Formen, um die Begierlichkeit darzustellen; die Gelüste, die Satan für seine Zwecke ausnützen will. Anders war die Nahrung, die er mir anbot, um mich wie berauscht zu seinen Füßen niederfallen zu sehen!

Nach dem Gaumen wäre das Geld, die Macht, der Götzendienst, der Fluch, der Abfall vom göttlichen Gesetz gekommen. Doch der erste Schritt, den er mir vorschlug, war der letztgenannte, den er schon anwendete, um Adam zu treffen.

Die Welt verachtet die Reinen, und die Unkeuschen quälen sie. Johannes der Täufer ist das Opfer der Unzucht zweier Unzüchtiger. Aber wenn die Welt noch ein wenig Licht hat, so verdankt sie dies den Reinen. Sie sind die Diener Gottes und können Gott verstehen und Gottes Worte wiedergeben. Ich habe gesagt: „Selig, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.“ Auch auf der Erde können sie Gott sehen, ihn hören, ihm nachfolgen und ihn den anderen zeigen, da ihre Gedanken nicht durch den Nebel der Sinne getrübt sind.

Johannes, Sohn des Zebedäus, ist ein Reiner – der Reine unter meinen Jüngern. Welch blütenreine Seele in einem engelhaften Körper! Er ruft mich mit den Worten seines ersten Lehrers und bittet mich, ihm meinen Frieden zu schenken. Doch er hat den Frieden in sich durch sein reines Leben. Und ich habe ihn geliebt dieser seiner Reinheit wegen, und daher habe ich ihm meine Lehren, meine Geheimnisse und das Geschöpf, dass mir am teuersten war, anvertraut.

Er war mein erster Jünger, mein Lieblingsjünger vom ersten Augenblick unserer Begegnung an. Seine Seele hat sich mit der meinigen vereinigt vom Tag an, da er mich am Ufer des Jordan kommen sah, und er hatte mich schon gesehen, als der Täufer auf mich gewiesen hatte. Auch wenn er mich bei meiner Rückkehr aus der Wüste nicht getroffen hätte, er hätte nicht geruht, bis er mich gefunden hätte; denn wer rein ist, ist demütig und bestrebt, die Wissenschaft Gottes kennenzulernen, und wendet sich, wie das Wasser zum Meer, den Lehrern der himmlischen Weisheit zu.» Jesus sagt weiter:

«Ich wollte nicht, dass du über die sinnliche Versuchung deines Jesus sprichst. Auch wenn deine innere Stimme dir den Grund Satans zu verstehen gegeben hat, mich zu versuchen, hielt ich es für besser, es dir selbst zu erklären. Denke nicht weiter darüber nach! Es war nötig, davon zu sprechen. Also mutig vorwärts! Laß die Blumen Satans auf dem Sand verdorren! Folge Jesus nach, wie Johannes es getan hat! Du wirst auf Dornen gehen müssen; aber als Rosen wirst du die Blutstropfen dessen finden, der sie deinetwegen vergossen hat, damit auch in dir das Fleisch besiegt werde.

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, noch eine Bemerkung: Johannes sagt in seinem Evangelium bei der Beschreibung der Begegnung mit mir: „Am folgenden Tag“. Es scheint daher, als ob der Täufer am Tag nach der Taufe auf mich hingewiesen hätte, worauf Johannes und Jakob mir dann sofort nachgefolgt wären. Dies widerspricht dem, was die anderen Evangelisten in bezug auf die 4O Tage in der Wüste sagen. Ihr müßt aber so lesen: „Als mich (nach der nunmehr erfolgten Verhaftung des Johannes) tags darauf die beiden Jünger des Täufers wiedersahen, denen er bezeugt hatte: 'Hier ist das Lamm Gottes, riefen sie mich und folgten mir“ (Joh 1,35-37) nach meiner Rückkehr aus der Wüste.

Zusammen kehrten wir zu den Ufern des Sees Genesareth zurück, wo ich Unterkunft gefunden hatte und von wo aus ich meine Heilsverkündigung beginnen wollte. Die beiden sprachen über mich mit den anderen Fischern – nämlich worüber sie auf dem Weg und nachher im gastlichen Haus eines Freundes mit mir gesprochen hatten. Doch Johannes hatte den Anfang gemacht. Seine Seele wurde durch seinen Willen zur Buße, obwohl schon rein durch seine Keuschheit, ein Meisterwerk der Reinheit, in welchem sich die Wahrheit klar spiegelte. Dieser Wille zur Buße verlieh ihm auch die Ausdauer der Reinen und Großmütigen, die sich nie fürchten, vorwärtszuschreiten, wenn sie erkennen, wo Gott, die Wahrheit und die Lehre über den Weg Gottes sind. Wie sehr liebte ich Johannes wegen dieses einfachen und heroischen Charakters!»