25.12.2017

1. Weihnachtsfeiertag 1986

Eine Hl. Weihnacht steht wie ein lieblicher Stern über meinem Lebenswege:

Es war im Jahre 1946. Eine furchtbare Kälte ließ alles erstarren. Der Mond warf sein volles Licht über die schneebedeckte Landschaft In seinem bleichen Schein lag gespenstisch unser Kriegsgefangenenlager im hohen Norden des Urals. Ein vergessener Friedhof mit wandelnden Leichnahmen.

Schleppend und müde der Gang, — gebeugt die Haltung, — eingefallen die Wangen, — glanzlos die tiefliegenden Augen. Hunger, Durst, Kälte, Angst, Sehnsucht ... unsere steten Begleiter.

Und heute ist hl. Abend!

In einer Baracke erwarten mich Kameraden zur Feier der hl. Weihnacht. Stärker als die Angst vor den bitteren Folgen ist die Sehnsucht nach etwas Geborgenheit und. Frieden.

Armselig ist der äußere Rahmen: ein Kerzlein flackert auf dem Tisch einige Tannenzweige schmücken den armseligen Raum, — auf den doppelstöckigen Betten rechts und links liegen, sitzen, hocken meine Leidensgefährten... misstrauisch, erwartungsvoll ... denn einige haben sich längst den Glauben ihrer Kindheitstage entreißen lassen. Alle aber sind doch erfüllt von der Sehnsucht nach einer starken Hand, die fähig wäre, die Fesseln der Gefangenschaft zu lösen und die Tore zur Freiheit zu öffnen.

Das „stille Nacht, hl. Nacht“ stirbt nach einigen Worten auf unseren Lippen, — ich lese die Weihnachtsgeschichte vor, die ein Kamerad durch viele Filzungen hindurch hatte retten können, — und dann hielt ich meine Weihnachtsansprache.

„Wehe“, — so ungefähr sprach ich... „wir hätten Glaube, Hoffnung und. Liebe in unseren Herzen ersterben lassen, — dann brächte uns der heutige hl. Abend einen Höhepunkt unserer Einsamkeit und Verlassenheit. Wer aber noch glauben kann an die Botschaft über Bethlehems Fluren, — wer noch Vertrauen hat auf einen gütigen Vatergott, — wer sich das Licht bewahrt hat, das ihm in der Taufe gegeben ward, ... der darf auch noch in unserer verzweifelten Lage auf eine Rettung hoffen.

Er schaut nicht unter sich, denn wir wollen nicht, dass uns die kalte Erde Russlands bedeckt, — er schaut nicht um sich, denn ihm öffnet sich kein Fluchtweg, — nein... er schaut über sich. Und wenn er wie in seinen Kindertagen am Weihnachtsabend Ausschau hält nach dem Christkind, -erlebt er auch hier das Wunder der hl. Weihnacht: „Christus, der Retter ist da!“

Und wir erlebten das Wunder „Christus, der Retter ist da!“ Ein Leuchten kam in aller Antlitz, Tränen aus vielen Augen, — und als ich die Baracke verlassen wollte, sprangen alle, ja alle auf — die Glaubenden wie die Zweifler — streckten nach mir die Hände aus, als wollten sie an mir neuen Glaubensmut entzünden.

So glaubten wir uns wunderbar herausgerettet aus der Wüste der Verlassenheit in ein Paradies der Geborgenheit.