11.02.2018
6. Sonntag 1987
Wenn eure Gerechtigkeit…
„Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit vollkommener ist, als die der Pharisäer und Schriftgelehrten, werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen.“ (Mt. 5, 20)
Das ist ein hartes Wort des Meisters gegen die Führungsschicht des jüdischen Volkes, die doch ein großes Ansehen genoss wegen ihres religiösen Lebens.
Ja, die Pharisäer führten ein vorbildliches religiöses Leben, sie erfüllten gewissenhaft alle Gebote, die Moses einst auf dem Sinai gegeben hatte. Sie taten sogar weit mehr, denn sie gaben nicht nur den Zehnten der Feldfrüchte, sondern auch ihrer Gartenfrüchte. Sie waren auch bereit, ihren Lebensstandart einzuschränken, um so auch den Armen eine bessere Lebenschance zu ermöglichen. Gerade sie hatten doch eine berechtigte Chance gehabt, in das Himmelreich einzugehen.
„Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit vollkommener ist, …“
Dieses Wort gilt uneingeschränkt auch unserer Zeit, denn Jesus sagt: „Denkt nicht, ich sei gekommen, das Gesetz und die Propheten aufzuheben(…)“(Mt. 5,17). So steht es uns also nicht zu, in eitler Selbstherrlichkeit und Selbstbestimmung blind zu sein gegen die Forderung der Gebote, gegen jede Einengung unseres Freiheitsspielraumes aufzubegehren, Wege durch dieses Erdenzeit gehen zu können, die außerhalb der Straße der 10 Gebote führen. O nein, Jesus ist gekommen, um die Gebote zu erfüllen. Und das besagt nicht, Jesus wolle die Maschen des Gesetzes enger knüpfen, den Katalog der religiösen Pflichten erweitern und uns des freien Willens unseres Tuns berauben.
Der Wille Jesu ist es, die Gebote mit einem neuen Geist zu erfüllen.
Dieser neue Geist der Erfüllung der Gebote besteht darin, dass wir die Gebote nicht achten aus Angst vor der Strafe, sondern aus Freude an dem Segen, den sie uns bringen, dass wir nicht die Treue zum Gesetz in einer äußeren Haltung zeigen, die dem Mitmenschen imponieren soll, sondern in der inneren Gesinnung, an der Gott sich erfreuen kann,
daß wir nicht auf dem Boden des Gesetzes verharren mit seiner Drohung: „Wehe, wenn…!“, sondern handeln in der Freude der Verheißung: „Selig, wenn…!“
Liebe muss die Triebkraft unseres Tuns sein, denn Liebe rechnet nicht, sie fragt nicht nach Lohn. Liebe fragt nicht nach Pflichten, sie ist grenzenlos. Liebe erlebt im Opfer die höchste Blüte.
„Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit vollkommener ist, …“
An drei Geboten zeigt Jesus die größere Vollkommenheit auf:
„Du sollst nicht töten!“
Dieses Gebot meint nicht nur den Mord. Der Mord hat bereits begonnen im Herzen mit der Lieblosigkeit, dem Neid, der Wut, dem Hass und
der Rachsucht.
Ja, mannigfach kann das Gesicht des Mordes sein, wie Brecht sagt:
„Es gibt viele Arten zu töten: man kann einem ein Messer in den
Bauch stechen, einem Brot entziehen, einen von einer Krankheit
nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen
durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Selbstmord treiben, ...“
Dieses Gebot meint nicht nur den Ehebruch. Der Ehebruch hat bereits begonnen im Herzen mit ungezügelten Blicken, mit dem Lesen obszöner Illustrierten, mit dem Anschauen hässlicher Bettszenen im Fernsehen.
Dieses Gebot meint nicht nur den Meineid, der Meineid hat bereits begonnen im Herzen mit Halbwahrheiten, mit doppelzüngigem Reden, mit Lüge, mit Verleumdung, mit Ehrabschneidung und mit Rufmord.
„Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit vollkommener ist, ...“
„Wandern wir freudig den Weg der Gebote, denn er ist der Heimweg zu Gott! Dein Leben ist von Gott gemessen und auf die Erde gestellt.
Jeder Tag hat sein Maß. Der Strom deines Lebens wird langsam ausgeschöpft. Vom Morgen bis zum Abend läuft der Schatten deines Körpers. Vom Mutterschoß bis zum Grabe läuft die Reise deines Lebens.
Leite darum deinen Lebensstrom hin zu Gott! Wenn er hier versiegt, wird er dort ein Meer des Lebens.“ (Ephräm der Syrer)