Quelle: http://www.fatima.org/news/newsviews/newsviews200214.asp
Die zwei Päpste und wir. Was geschieht wirklich in der Kirche?
Am 11. Februar wurde an den Jahrestag des „Verzichts“ auf das Papstamt von Benedikt XVI erinnert. Am 28. Februar wird ein Jahr seit dem Ende seines Pontifikats vergangen sein. Aber was im Vatikan vor einem Jahr geschah, ist heute noch mysteriöser als damals. Und was ist die wahre Natur des „Rückzugs“ von Benedikt XIV?
Immer Papst
In vorhergehenden Fällen sind in der Tat Päpste, die resigniert haben, immer zu ihrem Status als Kardinal oder Ordensgeistlicher zurückgekehrt: fünf Monate, nachdem er abgedankt hatte, ging der berühmte Celestin V, gewählt im Jahr 1294, zurück, um wieder der Einsiedler Peter von Morrone zu sein.
Und der legitime Papst Gregor XII, der sich am 4. Juli 1415 vom Papstamt zurückzog, um das große Schisma des Westens zu heilen, wurde als Kardinal Angelo Correr wieder in das Heilige Kollegium eingefügt und diente als päpstlicher Gesandter in Marche.
Entsprechend diesen Präzedenzfällen sagte Benedikts Sprecher, Pater Frederico Lombardi, während eines Interviews mit Reportern am 20. Februar letztes Jahr in Antwort auf die Frage: „und wenn er entscheidet, sich selbst emeritierter Papst zu nennen?“ „Das würde ich ausschließen. Emeritus ist ein Bischof, der nach seinem Rückzug eine Verbindung aufrechterhält... in dem Fall des Petrusamtes ist es besser, die Dinge getrennt zu halten.“
Berühmte letzte Worte. Genau eine Woche später, am 26. Februar, mußte derselbe Pater Lombardi mitteilen, daß Bendikt XVI präzise „Emeritierter Papst“ oder „Römischer emeritierter Pontifex“ bleiben würde und den Titel „Ihre Heiligkeit“ behalten würde. Er würde nicht länger den Fischerring tragen und würde sich in ein einfaches weißes Priestergewand kleiden.
In diesen Tagen weigerte sich Benedikt XVI auch, sein päpstliches Armkleid (papal coat of arms) zu wechseln; er wies beides zurück: eine Rückkehr zum Wappen eines Kardinals wie auch das Armkleid eines emeritierten Papstes. Er wird das Armkleid eines Papstes behalten, mit den Schlüsseln des Petrus.
Was bedeutet dies alles? Ausgeschlossen ist offensichtlich irgendeine persönliche Eitelkeit bei einem Mann, der erwiesenermaßen von weltlichen Positionen abgesondert ist (hier geht es um theologische Dinge, nicht um weltliche Güter).
Es kann daher nur ein gewichtiger geschichtlich-kirchlicher Grund sein, der wahrscheinlich mit den Motiven für seinen Rückzug zusammenhängt (nach dem so viele ungebührlich drängten). Aber was ist dieser Grund?
Papst für immer
Die einzige offizielle Erklärung liegt in seiner Rede vom 27. Februar 2013, in welcher er die Grenzen seiner Entscheidung klärte:
„Erlaubt mir hier, noch einmal zum 19. April 2005 zurückzugehen. Die wirkliche Schwere der Entscheidung war auch der Tatsache geschuldet, daß ich von jenem Moment an verpflichtend immer und für ewig an Gott gebunden war.“
Achtung: Ich betone den Ausdruck „immer und für ewig“, weil uns der Papst ihn dann so erklärte:
„Immer – jemand, der den Petrusdienst annimmt, hat nicht länger irgendeine Privatheit. Er gehört immer und vollständig jedermann, der ganzen Kirche (…) er gehört sich selbst nicht länger...“
Dann fügte er hinzu, und ich zitiere:
„Das Immer ist auch ein Fürimmer – es gibt keine Rückkehr in die private Sphäre mehr. Meine Entscheidung, die aktive Ausübung des Dienstes aufzugeben, widerruft dies nicht.“
Es ist erstaunlich, dass eine Feststellung dieser Art unbemerkt vorüberging. Wenn Worte eine Bedeutung haben, sagt Benedikt hier tatsächlich, er entsagt der „aktiven Ausübung des Dienstes“, aber das Petrusamt als solches ist „für immer“ und wird nicht widerrufen. In dem Sinn, dass sein Rückzug nur auf die „aktive Ausübung“ und nicht auf den Petrusdienst angewandt wird.
Welche andere Bedeutung können diese Worte haben? Ich sehe sie nicht. Daher müssen wir fragen, welche Art des „Rückzugs“ war die von Benedikt XVI.
Jene Rede vom 27. Februar schien folgerichtig die Unterscheidung zwischen „aktiver Ausübung“ und „passiver Ausübung“ zu bestärken.
Er sagte in der Tat: „Ich trage nicht länger die Gewalt des Amtes für die Regierung der Kirche, aber im Dienst des Gebetes bleibe ich sozusagen in der Eingrenzung (enclosure) des H. Petrus. Der Hl. Benedikt, dessen Namen ich trage als Papst, wird mir hierin ein großes Vorbild sein. Er zeigte uns den Weg für ein Leben, das – ob aktiv oder passiv – vollständig dem Werk Gottes übergeben ist“.
Zu der Tatsache dieser Worte und den Worten „Für immer“ und „Dienst nicht widerrufen“ wurden dann die Akte hinzugefügt, von denen wir gesprochen haben, das sind die Fortdauer des Namens Benedikt XVI, die Kleidung, der Titel „Heiligkeit“ und das päpstliche Armkleid.
In Gemeinschaft mit Franziskus
Überdies perfekt erkannt von Papst Franziskus, der am 11. Februar diese Mitteilung kundtat: „Heute lade ich Euch ein zu beten für Seine Heiligkeit Benedikt XVI, einen Mann von großem Mut und Demut.“
Dieses ist eine völlig neue Situation in der Geschichte der Kirche. In vergangenen Jahrhunderten hat es in der Tat immer wieder Konflikte zwischen Päpsten und Antipäpsten gegeben, sogar drei zur selben Zeit.
Indessen hat es nie zwei Päpste in Gemeinschaft gegeben, die sich in dem Prozess gegenseitig anerkannten. Ich sagte „zwei Päpste“, in der Erwägung, dass einer der beiden der vorausgehende ist, „emeritierter Papst“ wird, und das enthält ein völlig unerhörtes Bild.
Was ist tatsächlich sein theologischer Status? Und was bedeutet „Rückzug“ von nur der „aktiven Ausübung“ des Petrusdienstes?
Als Benedikt XVI vor dem Konklave zu den Kardinälen sprach, nahm er seine Verehrung und seinen Gehorsam gegenüber seinem Nachfolger vorweg. Dies ist tatsächlich die Einstellung Benedikts zu Franziskus. Die Gemeinschaft zwischen beiden wurde sichtbar gemacht, als sie die Enzyklika „Lumen fidei“ zusammen schrieben.
Aber es ist auffällig, dass in dem gefilmten Treffen in Castel Gandolfo wie auch bei der Zeremonie in den vatikanischen Gärten zur Segnung der Statue des Hl. Michael die beiden Gottesmänner zu sehen sind, die sich wie Brüder umarmen, und von keinem der beiden die Geste des Küssens des Fischerrings. Man wundert sich: Wer ist der Papst?
Ein Geheimnis zwischen ihnen
Gibt es vielleicht ein Geheimnis zwischen ihnen, von dem die Welt nicht weiß? Oder müssen sie als auf der gleichen Ebene betrachtet werden? Wir wissen, dass das nicht sein kann, weil die göttliche Verfassung der Kirche nur einen Papst haben kann. Aber dann?
Es sind neue und überraschende Probleme, in deren Licht vielleicht einige auch bestimmten Gesten von Franziskus unerwartete Deutungen zuteilen, so als er sich selbst auf dem Balkon von St. Peter nur als „Bischof von Rom“ vorstellte, ohne Papstkleidung, oder das Fehlen des Palliums in seinem päpstlichen Armkleid (das Pallium ist jetzt das Symbol der päpstlichen Krönung und hat so die päpstliche Tiara ersetzt).
Natürlich handeln Leute willkürlich, die jetzt versuchen, den einen gegen den anderen auszuspielen. Darüber hinaus sind einige Lefebrianer und die Sedisvakantisten, die die Autorität von Franziskus in Frage stellen, gleichermaßen feindselig gegenüber Benedikt.
Das beständige Gebet von Benedikt für Franziskus und die Kirche ist vielleicht das größte prophetische Zeichen dieses geschichtlichen Augenblicks.
Man kann jedoch nicht unterstellen, dass alles normal ist, weil die Situation fast apokalyptisch ist. Und man kann folgende Fragen nicht vermeiden: über die Gründe für den Rückzug von Benedikt, warum viele es ersehnten, über den ungebührlichen Druck, den sie verursachten. Und über seinen jetzigen Status.
Eine Ära wie nie zuvor
In den Tagen nach der Ankündigung des Rückzugs, bevor er seine neue Situation im einzelnen bezeichnet hatte, hatte sogar die Civiltá Cattolica wie Pater Lombardi vorschnell aus der Schule geplaudert (had committed a gaffe).
Sie publizierte tatsächlich einen Aufsatz des Kanonisten Gianfranco Ghirlanda, in dem behauptet wurde: „Es ist klar, daß ein Papst, der sich zurückgezogen hat, nicht länger Papst ist und daher nicht länger irgendeine Gewalt in der Kirche hat und daher sich nicht einmischen kann in irgendeine Regierungsangelegenheit. Man kann fragen, welchen Titel Benedikt XVI behalten wird. Wir denken, man sollte ihm den Titel eines emeritierten Bischofs von Rom zuerkennen, wie jedem anderen Bischof einer Diözese, der sich zurückzieht“.
In jedem Fall, nicht „emeritierter Papst“. Aber Benedikt hat gewählt, präzise „emeritierter Papst“ zu sein. Es muß einen sehr ernsten Grund geben, sich zu entscheiden, auf diese Weise „fortzufahren“(continue). Und die Konsequenzen sind deutlich. Hier sind (His are: Schreibfehler?) sehr bedeutsame Signale, gesendet an jene, die sie verstehen müssen, und an die ganze Kirche.
Er signalisiert, dass er fortfährt, den Schatz der Kirche zu verteidigen, obgleich in einer neuen Weise. Und er scheint zu wiederholen, was er während seiner Einsetzungsmesse sagte: „Betet für mich, dass ich aus Furcht vor den Wölfen nicht fliehen möge.“
Antonio Socci
Aus: Il Libero, 16. Februar 2014